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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Windschutzscheibe. Lacan fühlte sich besser, die Übelkeit war verschwunden. Die Frage war: Wohin mit dem Toten, zumal, wenn man keine Erfahrung in diesem Geschäft hat. Im Grunewald vergraben oder mit einem Stein um den Hals in die Havel? Die Mafia betonierte ihre Opfer ein, so stand es hin und wieder auf der letzten Seite unter ›Vermischtes‹. Gewissensbisse, daß Hartmanns Tod die Folge ihrer nächtlichen Exkursion war, verdrängte er nonchalant. Vor Jahren hatte einer in Duisburg seine Opfer zerstückelt und in der Tiefkühltruhe eingefroren. Lacan sah nach hinten zu Hartmann und bekam eine Gänsehaut. Auf dem Parkplatz eines Supermarkts, wo er eine Tüte Milch gekauft hatte, schlich Lacan um zwei Müllcontainer, die mit zermatschtem Obst, gebrochenen Kisten und Plastiktüten gefüllt waren. An einem der Behälter lehnte eine Schaufel, mit der die Verkäuferinnen Platz für neuen Abfall schufen. Er trank die Milch aus, zerdrückte die Papptüte und warf sie in den Container. Kopfschüttelnd ging er zu seinem Auto zurück.
    Im Januar dunkelte es immer noch zwischen drei und vier am Nachmittag. Wenn man spät erwachte, verloren sich die Tage in wenigen Stunden schummriger Helligkeit. Die Ausfallstraßen füllten sich, die Frühschichten waren beendet, und die ersten Büros entließen ihre Angestellten.
    Lacan fuhr ziellos durch die Stadt. An einer Tankstelle bezahlte er mit Hartmanns Geld. Der kann ja nichts mehr damit anfangen, beruhigte er sich, als er das Wechselgeld nahm. Vielleicht sollte er Florence zum Essen einladen. Bis heute wußte er nicht, was sie an ihm fand, oder ob er sie liebte. Zu unterschiedlich verliefen ihre Leben. Er wollte sie sehen, sofort, aber sie war niemand, dem man Beichten ablegt, und darauf wäre die Begegnung hinausgelaufen. Er verscheuchte ihr lästiges Bild. Die Zeitungen, mit denen Hartmann zugedeckt war, raschelten leise, als er um eine Ecke bog.
    Schluß jetzt, Hartmann, du kommst weg!
    Lacan hatte sich dem Café Oppenheimer genähert, in dem sie sich gestern abend getroffen hatten. Irgendwo mußte noch Hartmanns Jaguar stehen.
    Plötzlich wußte Lacan, was zu tun war. Er würde die Leiche in der teuren Blechkiste begraben. Und ihm fiel auch ein passender Friedhof ein. Danach würde er zu Florence fahren, sicher.
     
    In einer Einkaufsstraße montierten frierende Arbeiter die Glühbirnen der Weihnachtsbeleuchtung aus den kahlen Bäumen. Menschen mit Einkaufstüten stießen gegeneinander. Der ölige Gestank von Currywurst zog aus einer Imbißbude in Florence’ Wagen. Der Sänger der Talking Heads vibrierte aus den in die Türen des Lancias eingelassenen Boxen.
    Eine Ampel wechselte die Farbe, und alle rutschten vorwärts. Die Scheinwerfer der Autos schienen die Schneeflocken anzusaugen, das Blaulicht eines Notarztes rotierte stumm auf der Gegenfahrbahn. Man konnte sich nicht vorstellen, daß es je wieder Sommer würde.
    Florence riß die Folie von einer neuen Packung Zigaretten. Ihr Hals brannte. Same as it ever was, same as it ever was, same as it ever was, der Refrain des Liedes hörte nicht auf. Bernhard hatte ihr die Platte geschenkt. Mit ihm war sie auch zu dem Konzert gegangen, in dessen Pause sie auf der Herrentoilette von Lacans Spiegel zum erstenmal Koka geschnupft hatte.
    Sie bewunderte jene Leichtigkeit Lacans, aber sie wußte nicht, daß er einem Artisten glich, der langsam die Balance verlor, während das Publikum staunend den Atem anhielt.
     
    Drei Mädchen hüpften Gummitwist. Als Florence an ihnen vorbei in den Hausflur ging, hielten sie ein und sahen ihr nach.
    »Kennt ihr die?« fragte die Kleinste.
    »Noch nie jesehn!«
    »Ick glaube, dit is’ die Freundin von Wilhelm.«
    »Seit wann hat der ’ne Freundin?«
    »Seit wann hat der bloß eene?« lachte das kleine Mädchen mit dem Pferdeschwanz.
    »Wilhelm hat keene Feste!«
    »Du bis’ ja eifersüchtig!«
    »Auf wen?«
    »Auf wen wohl?«
    »Auf die etwa?« fragte die Größte schnippisch. Sie war die Tochter der Hauswartsfrau, die sie auf die Straße schickte, wenn sie Besuch empfing. Die Mädchen spielten weiter. Zwei hielten den Gummi in ihren Kniekehlen, und das dritte sprang hoch für eine komplizierte Figur.
    Florence ging durch den Hof des Hauses. Er war groß genug für ein paar Bäume und Blumenbeete und ähnelte in nichts der Enge und Lichtlosigkeit der Hinterhöfe im Wedding und in Kreuzberg, die weniger Hof als Schacht waren. Im Treppenhaus hingen Kunstdrucke, die Wände waren lindgrün

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