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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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kommen.«
    »Das hätten sie sich denken können!«
    »Eigentlich ja.« Belasc kramte in der Tasche seines blauen Zweireihers nach Kleingeld und ging zu einer Telefonmuschel aus Plexiglas.
    Ein junger Polizist mit einer Maschinenpistole auf dem Rücken schlenderte am Lager der Türken entlang. Steenbergen zog aus seinem Mantel ein goldenes Zigarettenetui, in dessen Deckel arabische Schriftzeichen graviert waren. Der Rauch der flachen starken Zigarette preßte sich aus seiner Nase und seinem Mund. Von weither kam eine Ansage in Englisch, Deutsch und Französisch, und auf der Anzeigetafel über seinem Kopf rasselten die Buchstaben durcheinander. Belasc kam zurück.
    »Nicht da!«
    »Beide?«
    »Einmal Anrufbeantworter, und bei ihr hab’ ich hundertmal klingeln lassen.«
    »Am besten, wir fahren erst mal in die Wohnung«, sagte Steenbergen.
    Belasc hob den Handkoffer und ging voraus durch eine Schiebetür, die sich automatisch öffnete. Ein Taxifahrer sprang aus seinem Wagen und nahm dem ehemaligen Boxer die Tasche ab.
     
    Der junge langhaarige Mann und seine Freundin dämmerten im Heroinrausch. In dem kahlen Zimmer fraß sich der Schimmelpilz die Wände hoch. Aus einem Kassettenrecorder auf dem Holzboden drang leise Fixermusik von Pink Floyd. Sie waren mit seinem Parka zugedeckt. Ein Betonarbeiter der Brigade »Ernst Thälmann«, die nebenan einen zehngeschossigen Fertigbau hochzog, fand sie, als er das Abbruchhaus auf der Suche nach Sperrmüll durchstreifte.
    Oberst Koljatow verließ die Botschaft Unter den Linden, sein Fahrer öffnete ihm die Türe des Wagens. Auf der Stralauer Straße überholte sie mit Blaulicht ein graugrüner Bus der Volkspolizei, in dem der Langhaarige und seine Freundin apathisch kauerten. Die Nachmittagswolken spiegelten sich in den großen bronzefarbigen Scheiben des Palastes der Republik. Der Oberst zündete eine Papirossa an. Am Ende der Woche würde ein Kurier der anderen Seite die Schaltpläne und Konstruktionszeichnungen übergeben, danach würde man weitersehen.
    Oleg summte einen russischen Schlager. Der Botschaftsrat hatte Koljatow zu einer Cocktailparty eingeladen, die zu Ehren eines untergeordneten Ministers gegeben wurde. Diesmal mußte er hingehen. In einem Jahr konnte er um seine Entlassung aus dem aktiven Dienst nachsuchen. Er hoffte auf eine ruhige Stelle in der Verwaltung, um endlich tun und lassen zu können, was er wollte; ein Buch aus dem Japanischen übersetzen zum Beispiel.
    Der Wagen rauschte wieder durch die Birkenallee. Im Osten dunkelte es hinter einer grauen Wolkenwand, und Oleg schaltete die Scheinwerfer ein.
     
    Die Schrankwand hielt stilistisch die Waage zwischen Britzer Barock und ostelbischem Gutsherrenmöbel. In das massive Oberteil war eine Vitrine gearbeitet, die Raum bot für allerlei Krempel, vom Fotoalbum bis zum nie benutzten Mokkaservice. Das Ganze ruhte auf spiralig gedrechselten Füßen.
    Jedesmal, wenn Harry Schulz sie ansah, beschloß er, sie eines Tages mit seiner Black & Decker kleinzusägen. Er lag auf drei Elementen der Sitzecke und erholte sich von den Strapazen der Nacht. Seine Frau arbeitete nachmittags an der Kasse eines Supermarkts, die Kinder spielten auf der Straße. Er mußte erst Freitagmorgen wieder zum Dienst, und das hieß: drei lange Tage zu Hause.
    Er hatte ein Bier getrunken, und im Wasserkasten der Toilette war eine Flasche Korn versteckt. Da er nur sehr wenig trank, spülte meist schon ein Schluck den Ärger weg.
    Er ging zum Fenster, schob den Store beiseite und rauchte die letzte von Frankes Zigaretten. Im Innenhof des Neubaublocks kreischten Kinder. Einige flüchtige Bilder der vergangenen Nacht tauchten auf. Der hilflose alte Mann in der Schneewehe, die Hektik in der Ambulanz am Kleistpark, der Einbruch in der Akademie.
    Auf welche Ideen manche Leute kommen? dachte Schulz. Er war noch nie in der Akademie der Künste gewesen, warum auch? Er hätte genausogut in Paderborn leben können, und er wäre sofort nach Paderborn gezogen, wenn ihn das von seiner Frau befreit hätte, obwohl er nicht sagen konnte, was ihm an ihr nicht mehr gefiel. Er wußte, es war auch seine Schuld.
    Auf der Häuserfront gegenüber lag diagonal ein unbeweglicher Schatten. Schulz schmiß die Kippe nach unten und schloß das Fenster. Auf dem Videorecorder lagen ein paar Kassetten. Er machte es sich in der Sitzecke bequem. Noch drei Tage bis Freitag.
     
    Das abgenutzte Gummi der Wischer verteilte Schnee und Dreck in schmutzigen Schichten auf der

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