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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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nicht das vorindustrielle Paradies, aber Berlin war die Intensivstation eines Krankenhauses, das schon lange zum Abriß freigegeben war. Seine Frau ginge lieber heute als morgen.
    Vor Lescheks geschlossenen Augen passierten die Menschen Revue, die er in Berlin zurücklassen müßte. Verzichten konnte er auf alle, vermissen würde er Lacan, Lacan und Irene Rabbia. Lacan war der einzige, um den sich Leschek neben seiner Familie sorgte. Leschek wußte, wie leichtsinnig er war, und vielleicht war es Lacans Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, die ihn rührte. Er selbst hatte stets klare Entscheidungen getroffen, Bernhard ließ sich treiben.
    Leschek stand auf und schaltete das Fernsehgerät ab. Lacan war unzuverlässig. Trotzdem würde er ihn fragen, ob er mitkommen wolle, aber er wußte, daß Lacan ablehnen würde. Lacan hatte ganz andere Sorgen.
     
    Der Tote war gut zugedeckt. Wer jetzt von außen in den Wagen sah, hätte gedacht, ein Bündel Kleider oder Werkzeug läge hinter den Vordersitzen. Lacan fuhr im Schatten der stillgelegten Hochbahngleise nach Schöneberg. Am U-Bahnhof Nollendorfplatz lehnten Fixerinnen an Autos und warteten auf Nachmittagskunden. Der Winterfeldtmarkt befand sich in Auflösung, die meisten Stände waren schon abgebaut, und Müllmänner in orangefarbigen Overalls schoben mit großen Rechen die Abfälle zusammen. Einige Stadtstreicher wühlten in den Haufen nach Eßbarem. Am Turm der Matthiaskirche brannten bereits die roten Positionslichter, an denen sich die Polizeihubschrauber orientierten.
    Elektrisiert folgte Eddies Blick dem Opel Lacans, der im Schrittempo einen Parkplatz suchte. Als Lacan mit zitternden Knien das Café Europa betrat, lief Eddie über die Fahrbahn und näherte sich vorsichtig dem Eingang. Eigentlich hatte er einer der Fixerinnen, die bei seinem Chef in der Schuld stand, ein paar Mark abknöpfen wollen, aber so kam es besser.
    Das Café Europa war ein kahler rechteckiger Raum mit Mosaikfußboden, einige Gartenstühle standen um gußeiserne Tische. An der Stirnwand war eine bunt beleuchtete Musicbox.
    Lacan bestellte bei der Kellnerin mit turmhoch gestecktem Haar Bier und Cognac. Zusammengesunken saß er vor der großen beschlagenen Fensterscheibe. Was sollte er mit Hartmann anfangen, der kalt und verkrümmt und mit nassen Zeitungen bedeckt in seinem Wagen lag? Lacan hatte über alle Coups – vom Banküberfall bis zum Heiratsschwindel – schon nachgedacht, aber noch nie darüber, wie man eine Leiche beseitigt. Er starrte ins Leere, wo sich plötzlich eine Leinwand aufspannte, auf die Bilder aus ihrer Kindheit geworfen wurden.
    Das Mädchen hinter der Bar kontrollierte in einem Verschlag, der als Küche diente, ihre Frisur. Um ihren Hals trug sie ein schweres Kupferkreuz, auf das ein Totenkopf geschweißt war. Aus der Musicbox schallte die Stimme Lou Reeds und brach sich an den kahlen Wänden.
    Als Lacan einen Schluck Bier trank, verkrampfte sich sein Magen, und eine bittere Übelkeit stieg durch seine Speiseröhre. Im selben Augenblick klopfte es von draußen an die Scheibe. Lacan drehte würgend den Kopf, da stand Eddie, seines Triumphes sicher. In seinem dünnen Oberlippenbart hatten sich Schneeflocken verfangen, seine Haare verdeckten nur unvollkommen den Ansatz zur Glatze.
    Der Druck im Magen trieb Lacan aufs Klo, was Eddie als Fluchtversuch auslegte. Die Türe der Kabine, in der Lacan sich über das Becken beugte, pendelte noch, als Eddie auch schon hinter ihm stand. Aus Lacans Kehle stießen gurgelnde Laute, ein Speichelfaden hing aus seinem verzerrten Mund. Eddie lehnte sich so lässig wie möglich in den Holzrahmen.
    »Äähh, mir wär’s lieba, wennste endlich ’n Schotter ausspucken würdest.«
    Lacan hatte kein Ohr für ihn, sondern würgte mit hochrotem Kopf.
    »Meinetwegen kannste ooch Dukaten scheißen, aber Hauptsache is, et kommt ma wat rüba!«
    Lacan atmete stoßweise, die Krämpfe ließen nach. Er richtete sich auf und drehte sich um. Eddie trippelte zwei, drei Schritte zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke. Lacan fuhr mit dem Handrücken über seine Stirn, Eddie stemmte seine Fäuste in die Hüften.
    »Ick such dir schon seit zwei Wochen, ick valier die Jeduld.«
    Lacan riß ein Stück Toilettenpapier ab und wischte sich über den Mund. Noch unsicher auf den Beinen näherte er sich Eddie und legte ihm die flache Hand auf die Brust.
    »Was ist los, was willst du?«
    Eddie schob die Hand nach unten und sah ihn zornig

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