Sünden der Faulheit, Die
getüncht, das Minutenlicht klickte leise.
Wilhelm Mertens hob abwehrend die Hände, als er Florence im Türrahmen gegenüberstand.
»Ich war es wirklich nicht, das mußt du mir glauben.«
»Das habe ich auch gar nicht gesagt.«
»Aber gedacht. Wahrscheinlich denkst du, ich hätte …«
»Dürfte ich vielleicht reinkommen?« fragte Florence gereizt.
»Florence, ich bitte dich«, sagte Mertens und trat zurück. Am Ende des Flurs war ein sechseckiges Zimmer. Florence setzte sich auf die Kante eines Podestes, das den Raum teilte. Pastellfarbene Sitzkissen lagen darauf und ein Stapel Bücher. Sie schlug die Beine übereinander und zündete eine Zigarette an, Mertens stand mit Unschuldsmiene vor ihr. Auf einem Glastisch lagen Papiere neben einem Heimcomputer, dessen Gehäuse das Licht einer Stehlampe reflektierte.
»Ich war im Bett«, sagte Mertens.
»Aber Wilhelm«, Florence suchte den gleichen sarkastischen Ton zu finden, »ich weiß doch, daß du nachts im Bett liegst.«
»Na also. Außerdem war Amsterdam kein Zuckerschlekken!«
»Ach?«
»Der Ungar war anstrengend.«
»Sicher hast du dich und die Stadt von der besten Seite gezeigt.«
»Von der roten und der gelben.«
Florence lächelte über Mertens’ Offenheit.
»Und heute morgen …«, er wollte eine Geschichte erzählen, doch sie unterbrach ihn.
»… hast du die Liebe deines Lebens gefunden!«
Wilhelm sah sie überrascht an. Dann reichte er ihr einen Aschenbecher.
»Die Liebe meines Lebens bist doch du.«
»Wilhelm, das ist zuviel.«
Dunkle Strähnen kräuselten sich neben ihren Wangenknochen.
»Soll ich ehrlich sein?«
»Bitte!«
»Ich habe an verschiedenen Schulhöfen kleinen Mädchen aufgelauert.«
»Ist es schon soweit?«
»Ich kann es nicht mehr verleugnen. Was möchtest du trinken?«
Florence schloß die Augen und hob die Schultern. Sie zog tief an ihrer Zigarette und zerdrückte sie nachlässig in der Kristallschale.
»Wie wär’s mit einem gespritzten Martini?«
»Einen einfachen, wenn du hast.«
»Sicher.« Mertens nahm die Flasche von einer Etagere auf Rädern und verschwand in der Küche. Florence blickte sich um. Seit ihrem letzten Besuch hatte sich nichts verändert. Die Wohnung war eingerichtet, als habe sich der Besitzer noch während des Einzugs entschlossen, nur kurze Zeit zu bleiben. Obwohl die wenigen Bilder und Möbel von Geschmack zeugten, war alles nur vorläufig, man konnte jederzeit gehen. Mertens kam mit zwei länglichen Gläsern zurück. In Florence’ Glas schwamm eine grüne Olive. Sie nippte. Der dunkelrote Lippenstift zeichnete am Rand die Form ihres Mundes nach.
»Hast du Steenbergen angerufen?« fragte Florence freundlich.
Mertens sperrte die Augen auf.
»Jetzt mach’ aber mal ’nen Punkt! Was habe ich damit zu tun?«
Florence schwieg.
»Habe ich ihn etwa überredet, das Bild da hinzuhängen?« Mertens kam auf Touren. »Außerdem solltest du wissen, wie ich zu deiner Manie stehe, die Kunsthistorikerin rauszukehren.«
Florence wurde blaß.
»Und da mal ’ne Kritik schreiben und da mal im Katalog erwähnt werden und zu guter Letzt ein Interview fürs Feuilleton.« Er setzte sich ein Stück entfernt auf das Podest. »Ich habe dich mehr als einmal gefragt: Was soll das?«
Mertens stützte den Kopf in die Hände.
»Das Bild ist jedenfalls weg«, sagte Florence leise.
»Ja, das Bild ist weg, und ausgerechnet nur dieses eine. Der kleine Oelze aus dem Leipziger Archiv. Und jetzt stell’ dir mal vor, irgendein bescheuerter Schnüffler käme auf die Idee zu fragen, wie kommt das Bild zu Steenbergen?«
»Weiß ja keiner, woher es stammt«, entgegnete Florence weinerlich.
»Weiß keiner, fragt wahrscheinlich auch keiner, aber stell’ dir nur vor …«
Mertens verlor den Faden. Hastig leerte er sein Glas. In Florence regte sich Trotz.
»Die Versicherung weiß es auch nicht. Hab dich nicht so!«
Mertens ging auf und ab. Ihm fiel nichts mehr ein. Florence suchte nach einer Zigarette. Mertens trat neben sie und gab ihr Feuer. Dann hockte er sich wieder auf das Podest und stierte auf den flachen Tisch mit seinem Computer. Florence sah ihn aus den Augenwinkeln an.
»Also: Was sollen wir machen?«
Mertens blickte zur Decke.
»Wir müssen Steenbergen informieren.«
»Du mußt Steenbergen informieren. Ich rufe bei dem Sack nicht an«, und, als sei es noch nicht genug, ahmte er Florence’ Stimme nach: »Onkel Pieter, weißt du schon, was passiert ist? Es ist ja so furchtbar, ich bin
Weitere Kostenlose Bücher