Sünden der Faulheit, Die
Jan wischte mit dem kleinen Finger über die Kassette und leckte ihn ab.
»Wohin?« fragte Keitel.
»Berkels«, sagte Jan. Es hielt sich hartnäckig das Gerücht, er sei beinahe Millionär geworden, obwohl niemand von den genauen Umständen wußte. Seine Bonität erschöpfte sich in der Reinigung seiner Anzüge. Tadellos. Wer nahm denn überhaupt noch etwas ernst? Eddie vielleicht? Wovon träumte er?
Kuttis Bierbar war ein heruntergekommenes Lokal, in dessen Hinterzimmer gezockt wurde. Eddie und Assidertürke hatten dort tatsächlich den Schweden angetroffen, einen dürren Menschen mit flachsblondem Haar. Assi erwischte ihn am Auge, bevor der Schwede wußte, was vorging. Er kippte mit dem Stuhl nach hinten, zog die Decke vom Tisch und lag da inmitten von Scherben und Bier. Die anderen Gäste sprangen auf und brachten sich in Sicherheit. Kutti, der Wirt, stand regungslos hinter der Theke.
Eddie durchsuchte die Taschen des wimmernden Mannes, über dessen Hände, die er schützend vor den Kopf hielt, Blut tropfte. Er kniete sich neben den Blonden.
»Hör mal jut zu: Et nächste Mal bringste det Jeld selber vorbei. Weißt ja, wo. Vastanden?«
Als der Schwede mit verzerrtem Gesicht nickte, trat Assi ihm mit Wucht in den Rücken.
»Und det war für neulich!«
Sie verschwanden, so schnell sie gekommen waren. Die anderen Gäste halfen dem Schweden hoch, und Kutti legte einen feuchten Lappen auf die Platzwunde. Dann fegte er die Scherben zusammen.
Oberst Nikolai Koljatow hatte seine Ausgehuniform angezogen und wartete auf seinen Fahrer. Vor ihm auf dem Tisch lag links eine japanische Grammatik und rechts eine Einführung in digitale Landwirtschaftsplanung; in der Mitte stand ein aufgeklapptes, mit Schaumstoff ausgelegtes Kästchen, in dem er zwei sternförmige Medaillen an roten Bändern aufbewahrte. Eine war ihm kurz nach dem Krieg verliehen worden, die andere, als er aus Kuba zurückkehrte. Die Orden baumelten auf seiner Brust unter einer Reihe kleiner bunter Fähnchen, deren Bedeutung nur Offiziere entziffern konnten.
Je länger er wartete, desto weniger Lust verspürte er, auf den Empfang zu gehen. Heute abend sollte ihm der Ingenieur aus Ungarn vorgestellt werden, der den Transport auf der neuen Route vorbereitet hatte. Als Koljatow die Flasche Wodka aufschraubte, hörte er die schweren Schritte Olegs auf dem Gang.
Hinter Florence’ geschlossenen Vorhängen schimmerte Licht. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung waren Lacan Zweifel gekommen, ob es richtig sei, sie zu besuchen. Er hatte noch nie unangemeldet vor ihrer Türe gestanden, das war eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen ihnen. Er verstaute sein Auto in einer Parklücke und zündete eine Zigarette an. »Wenn Liebe zur Liaison wird, degeneriert sie zu einer verhängnisvollen Kette von Lüge und Niedertracht …«, dieser Satz eines französischen Philosophen fiel ihm ein, und er dachte angestrengt nach, wo er ihn gehört haben könnte. Wahrscheinlich hatte er ihn in der Auslage einer Buchhandlung gelesen. Er wußte selbst nicht, ob er Florence liebte, aber vielleicht konnte er sich einfach an das Gefühl nicht mehr erinnern.
An den Innenseiten der Scheiben gefror Kondenswasser. Lacan kratzte ein Loch und spähte hoch. Florence war zu Hause. Das Bedürfnis, sie zu sehen, verselbständigte sich. Mechanisch stieg er aus und rutschte über den Schnee. An der Laterne vor dem Haus hing ein Abfallkorb der Stadtreinigung. Lacan stopfte Hartmanns Handschuhe in die geneigte Öffnung und stieß mit dem Fuß die schwere Türe auf. Er stützte sich auf das Geländer und lauschte. Langsam zog er sich Stufe um Stufe hoch. Im ersten Stock röhrte ein Fernsehgerät, eine alte Frau verlor in ihrer dunklen Gruft den Verstand. Bevor der Gedanke, ob er richtig handle, wieder die Oberhand gewinnen konnte, gab er sich einen Ruck und nahm zwei und drei Stufen auf einmal. Atemlos drückte er die Klingel.
Jemand drehte von innen am Schloß und öffnete die Türe. Das Flurlicht sprang aus, und Florence’ Silhouette erschien im Rahmen.
»Bernhard?« fragte sie zögernd und strich ihr Haar zurück. Das Flurlicht sprang an, und da stand Lacan, von einem Bein aufs andere wippend. Er spürte, wie Blut in seinen Kopf schoß, und senkte die Augen.
»Ich dachte …«
Florence half ihm nicht.
»Ich hatte Lust, dich zu sehen.«
»Ausgerechnet jetzt?« fragte Florence kühl.
»Warum nicht jetzt?«
»Aber Bernhard!« Florence hörte nach hinten. Aus ihrem Wohnzimmer
Weitere Kostenlose Bücher