Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
Vom Netzwerk:
drang Stimmengemurmel. Lacan lenkte ein.
    »Ist im Augenblick nicht so günstig, wie?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich habe gerade eine wichtige Besprechung.«
    Über ihre Schulter sah Lacan, wie im Hintergrund die Wohnzimmertüre einen Spalt geöffnet wurde und der Schatten eines Mannes auf die Flurwand fiel.
    »Ich verstehe schon«, sagte er enttäuscht.
    »Mensch, Bernhard!« sagte Florence gepreßt. Lacan trat zurück.
    »Also dann …«
    »Bernhard, versteh’ doch!«
    »Ich verstehe ja.«
    »Ehrlich?«
    »Ehrenwort!« Er lächelte verkniffen. Die Wohnzimmertür wurde wieder geschlossen.
    »Sehen wir uns morgen abend?« fragte Florence erleichtert.
    »Sicher.«
    »Auf der Vernissage bei Lydia? In Ordnung?«
    »Ja.«
    »Bis morgen dann!«
    Sie gab ihm einen Kuß, er stand allein im Treppenhaus. Unschlüssig zählte er das Klicken des Lichtschalters. Im Dunkeln verwandelte sich seine Eifersucht in Neugier. Lacan kniete sich vor den Briefschlitz und klemmte ein Ohr unter die Klappe. Er erkannte Florence’ Schritte in der Küche, wo sie am Kühlschrank hantierte. Eiswürfel stießen in einer Schüssel aneinander. Zwei Männer redeten im Wohnzimmer. Die Stimme des älteren war ihm unbekannt, der jüngere war, war das nicht Mertens, der …?
    »Am Wochenende … über die Bühne … klar.«
    Es wurde undeutlicher. Florence war immer noch in der Küche beschäftigt. Jetzt ging sie zu den beiden.
    »Das mußte nicht passieren«, sagte der Ältere deutlich, dann wurde die Türe wieder fest geschlossen. Der Ton des Fernsehgeräts aus dem ersten Stock stieg durchs Treppenhaus. Lacan richtete sich auf. Was hatte Mertens bei Florence zu suchen? Die Sache war doch schon lange vorbei. Oder hatte sie ihn belogen? Und wer war der aufgebrachte andere Mann? Ihr Professor, bei dem sie angeblich in Kunstgeschichte promovierte? Und der hatte Streit mit Mertens? Lacan dachte an nichts Bestimmtes, und doch lösten sich seine Gedanken in sprunghafter Folge ab.
     
    Die letzten Passanten beeilten sich, nach Hause zu kommen. An einer zerschossenen Fassade hing ein Schriftzug »Sechsämtertropfen« in Sütterlinbuchstaben, und das »s« und das »ä« flackerten leuchtend rot.
    Plötzlich hörte die Straße auf. Die Scheinwerfer des Opels strichen über einen hölzernen Turm, von dessen Plattform man in den Osten sehen konnte. Gleich dahinter war die Mauer, von oben bis unten und von links nach rechts mit Graffiti beschmiert. Auf einer großen Tafel stand: You Are Leaving The British Sector. Lacan stieg aus und kletterte auf die Plattform. Auf der anderen Seite war in gleicher Höhe die Kanzel eines Wachturms. Riesige Peitschenmasten bestrahlten das geharkte Vorfeld der Grenze, weiter hinten schützten spanische Reiter in gestaffelter Formation die Hauptstadt der Republik. Ein Hund bellte. Diese Leere war einmal der Potsdamer Platz gewesen.
    Auf der Spitze des Fernsehturms am Alex blinkten Signallampen durch die Wolken. Lacan schlug den Kragen hoch und raunte ein paar Flüche. Es war eine kindische Idee gewesen, Florence zu besuchen. Die Kälte der Januarnacht kroch in seine Schuhe. Wie mochten die Wachtürme da drüben beheizt sein? Welch ein Scheißjob, stundenlang ins verschneite Niemandsland zu starren. Lacan hatte gewaltigen Durst. Er hielt die Luft an und preßte Blut in seinen Kopf. Dann stieg er wieder von der Plattform.
    Die Mauer halbierte an dieser Stelle die Straße. Aus den Fenstern der Häuser hätte man in die DDR spucken können. Am Ende der Gasse leuchteten Scheinwerfer auf. Ein Jeep der englischen Militärpolizei holperte langsam über das Kopfsteinpflaster.
     
    Francis Intyre kam aus Birmingham. Er hatte sich für zwölf Jahre zur Armee verpflichtet. Die zugemauerten Fenster hier erinnerten ihn an zu Hause. In einigen Bezirken Birminghams sah es genauso aus, verlassen und tot. Francis war noch jung, und die Armee hatte ihm schon einiges von der Welt gezeigt: Belfast, Georgetown und die Falklandinseln, aber Berlin war besser. Eine Klasse besser auch als Birmingham. Wenn er nachts an der Mauer patroullierte, fragte er sich manchmal, was er mit der Prämie nach den zwölf Jahren anfangen sollte. Der Feldwebel saß dösend neben ihm. Als sie den hölzernen Aussichtsturm erreichten, sah Francis Lacans Rücklichter. Aus den Hörern des Walkmans, die locker um seinen Hals hingen, klang ›Two tribes go to war‹, und der Feldwebel rekelte sich im Halbschlaf.
     
    Das »Berkels« war eine moderne Bar. Über der Türe

Weitere Kostenlose Bücher