Sünden der Faulheit, Die
vorhin war verschwunden. Lacan lenkte seinen Wagen in jenen verschwiegenen Weg, in dem er den Jaguar abgestellt hatte. Die Scheinwerfer tasteten über mannshohe Schutthaufen. Er hielt neben Hartmanns Limousine, so daß die hinteren Türen der Wagen eine Gasse bildeten.
Die Leiche war steif wie ein Waschbrett, Arme und Beine klemmten zwischen Vorder- und Rücksitzen. Lacan zog und zerrte mit aller Gewalt an Hartmanns Mantel. Als die Leiche sich mit einem Ruck löste, rutschte Lacan auf die Straße. Hartmanns Arme ragten bewegungslos über die Rückbank nach draußen, seine Haare waren gefroren und standen spitz vom Schädel ab. Lacan erhob sich und atmete schwer. Am Ende des Weges blitzten Lichter durch die Nacht.
Nach einigen Minuten war die widerliche Arbeit getan, der Tote lag im Jaguar. Lacan bog sein Kreuz durch und wischte sich über die Stirn. In seinem eigenen Wagen war Hartmann gut aufgehoben. Was hätte er auch machen sollen?
In der Innenstadt fragte sich Lacan, wie lange es wohl dauern würde, bis man die Leiche fände. Ein Jaguar zwischen den Ruinen im Tiergarten war schon ziemlich ungewöhnlich. Der Fliegenschwarm in seinem Magen startete einen Abendausflug. Und wenn er das Auto woanders parken würde? Unauffällig zugeschneit, am besten in einem Wohnviertel. Der Gedanke, noch einmal zurückzufahren, machte ihn verrückt. Früher oder später käme doch alles ans Tageslicht. Früher oder später, aber eben besser später.
Eine Stunde später: Der Jaguar stand jetzt in einer kleinen Straße in Friedenau, gleichweit von einem Mercedes und einem Ford Capri entfernt. In dieser Gegend wohnten Angestellte, Lehrer und kleine Geschäftsleute, einer von ihnen hatte Besuch aus München.
Silbrig glänzende Aluminiumrohre hingen unter der Decke des langgestreckten Raumes. Sie saugten die heiße Luft aus den Lampenhäusern der Maschinen. Der Boden vibrierte leicht. Vom Glas der Projektionsfenster reflektierte der Film auf Wände und Boden. Leere Spulen lehnten vor den Verstärkerkästen.
Im Hintergrund war ein schwach beleuchteter Tisch. Eine Frau zwischen dreißig und vierzig saß in schwarzen Lederhosen auf einem Barhocker, vor ihr stand eine Apothekerwaage, auf der sie die Droge abwog. Mit einem Löffel holte sie das Pulver aus einer durchsichtigen Plastiktüte und rieselte es vorsichtig auf kleine Papierquadrate auf der Wägefläche. Der alte Filmvorführer hockte in der Ecke und las Zeitung. Er bekam 100 Mark für die Abende, an denen sie in seinem Raum ihre Kunden empfing.
»Was brauchst du?« fragte sie Jan, der auf einem Drehstuhl neben ihr saß. Er richtete sich ein wenig auf und linste auf die Waage. Sie lachte heiser und zog hinter einem Packen verschnürter Illustrierten eine Spiegelscherbe hervor, auf der das Kokain schon kleingehackt war. Sie schob es mit der Klinge eines Teppichmessers zurecht und reichte Jan einen abgeschnittenen dicken Strohhalm. Er beugte sich vor und zog die Linie ins rechte Nasenloch. Nach einigen Augenblicken öffnete er den Mund wie ein nach Sauerstoff japsender Fisch und biß dann die Zähne zusammen. Wenn er schluckte, war es, als sei ein Fremdkörper in seinen vereisten Rachen geraten.
»Zwei Gramm!«
Sie wog ab und füllte die Briefchen, Jan suchte die Scheine aus seiner Jacke. Ohne nachzuzählen knüllte sie das Geld in ihre Hosentasche.
Der Filmvorführer nuckelte an seinem Bier. Die Frau zündete einen vorbereiteten Joint an. Sie inhalierte rasselnd und hielt ihn dem Vorführer unter die Nase. Er sah kurz auf und nahm das Stick. Jan runzelte die Augenbrauen und sah die Frau an, die lächelnd die Schultern hob.
»Wie geht’s denn so?«
»Geht so. Könnte besser sein.«
Jan wickelte einen Schal um seinen Hals und stand auf.
»Bis dann!«
»Jan, Mensch, laß dich mal wieder sehen.«
»Mit Sicherheit!«
Auf der Eisentreppe zum Hof kam ihm eine Frau entgegen, die er flüchtig kannte.
Keitel wartete im Auto. Sein Gesicht war verlebt wie das jenes amerikanischen Schauspielers. Unter seinen Augen gruben sich zwei tiefe Falten in die bleiche Haut. Keitel war 35 , und seine Zukunft lag bereits hinter ihm. Jan, ein paar Jahre jünger und stets wie aus dem Ei gepellt, glaubte noch, die Welt erwarte ihn, kleine Geschäfte und große Träume.
»Hast du?« fragte Keitel.
Jan öffnete die rechte Faust mit den Briefchen. Er zerhackte die Kristalle auf einer Kassettenhülle. Keitel hielt ein Nasenloch zu und schnupfte das Pulver durch einen gerollten Geldschein.
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