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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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augenfällig, je näher er dem Tiergarten kam. In seinen südlichen Ausläufern hatte sich das Botschaftenviertel befunden, als Berlin noch Hauptstadt war. Einsam stand das Hotel »Esplanade« in Trümmerfeldern. Ein Flügel der riesigen ehemaligen italienischen Botschaft wurde noch als Konsulat genutzt. Die Fenster waren zugemauert. Zwischen den Fugen der Auffahrt wucherten Gras und Unkraut. Ein wenig weiter lag die ehemalige japanische Botschaft, genauso groß und quadratisch und verlassen. Alle Eingänge waren mit dicken Brettern vernagelt. Über dem Hauptportal hing noch das verblichene ovale Emailleschild mit dem Emblem des Kaiserreiches. Laternen tauchten die alten Häuser in gespenstische Schatten von kahlen Bäumen, Brandmauern, Gestrüpp und Bauschutt.
    Neben der japanischen Botschaft verlor sich ein schmaler Weg im unbebauten Gelände; ein paar windschiefe Schuppen, in denen im Sommer die Penner wohnten, vergammelten in der Winterkälte.
    Lacan parkte den Jaguar vor den Schuppen. Ein Freier, der mit einer Nutte ein ruhiges Plätzchen suchte, hätte gedacht, ein anderes Paar vergnügte sich in dem Wagen. Es würde nicht länger als eine Stunde dauern. Als Lacan zur Straße zurücklief, suchte er in der Dunkelheit nach verdächtigen Bewegungen. In den Baumkronen fing sich der Wind und summte durch die Nacht. Wolken zogen eilig, da und dort flackerte ein Stern. Lacans Herz schlug bis zum Hals. Er duckte den Kopf in den Kragen der Lederjacke und überlegte, wie er am schnellsten zum Café Oppenheimer zurückkäme. Vor der Philharmonie war eine Bushaltestelle.
    »Na, Kleener, so alleene?« rief ihm eine Frau zu, die an einem Baum lehnte. Sie ging ein paar Schritte neben ihm her und faßte ihn beim Arm.
    »Ick hab ’n nettet Zimmer inner Eisenacher.«
    »Hab’ schon ’ne Verabredung«, sagte Lacan flüchtig und beschleunigte. Die Nutte blieb stehen und verzog den Mund.
    »Fick dir doch selber, du Arsch!«
     
    Nach kurzer Zeit sah man das geschwungene Dach der Philharmonie. Starke Scheinwerfer strahlten von unten über die Fassade und verloren ihr milchiges Licht im schwarzblauen Himmel. Menschen strömten von den Parkplätzen zum Eingang, und auf dem Busbahnhof kreisten gelbe Doppeldecker. Frauen rafften ihre langen Kleider und stöckelten, von ihren Begleitern gestützt, um Pfützen und Schneehaufen.
    Lacan mischte sich unter die Menge, die ihn saugend aufnahm. Irgendwann stand er im Foyer. Er zündete eine Zigarette an und gelangte durch eine Drehtüre wieder nach draußen. Er lief zu den Bussen. Der dritte fuhr zum Nollendorfplatz. Der Busfahrer sah ihn kaum an, als er einen Fahrschein löste. Zwei Männer in Arbeitsanzügen stiegen noch zu, setzten sich in die erste Reihe, und der Bus fuhr schaukelnd los.
     
    Vor der flachen gläsernen Front der neuen Nationalgalerie hing ein großes Transparent: Minimal-Retrospektive. Auf den Marmorquadern der Brüstung saßen frierend zwei Tamilen und blickten zum Kanal. Einer hatte einen Verband um seine Stirn. Seine Oberlippe war stark geschwollen, aber das konnte Lacan nicht sehen. Auf ihrer Insel war der Bürgerkrieg richtig in Schwung gekommen. Die Pappschachtel eines Sechserpacks wehte über die Stufen.
     
    Am Woolworthkaufhaus auf der Potsdamer Straße verließ Lacan den Bus. Vor dem U-Bahn-Eingang warteten Polizisten in Kampfanzügen, Walkie-Talkies ziepten. Von der Demonstration war nichts zu sehen und zu hören. Er lief über die Kurfürstenstraße zu seinem Opel. Bis jetzt war alles gutgegangen, er mußte nur noch die Leiche umladen. Lacan dachte an Florence und gleichzeitig an ein frisches Bier, außerdem hatte er Hunger. Am liebsten wäre er ins Café Oppenheimer gegangen und hätte etwas gegessen, Rindfleischsalat oder Filetspitzen auf Toast. Dann fiel ihm Leschek ein und der Job, den er ihm zugeschanzt hatte und den er dringend brauchte, um seine letzte Miete zu zahlen. Einzelne Schneeflocken tanzten unschlüssig in der Luft. Lacan versuchte, sie mit offenem Mund zu fangen. In Sizilien oder Nordafrika müßte man sein, in einem Haus, auf dessen blau gekachelte Veranda die Mittagssonne brennt, mit reichlich Scheinen unter dem Kissen und schwerem Portwein im Glas.
    In seinem Wagen tastete er nach Hartmann: unnatürliche Kälte. Das Rauschen in Lacans Ohren wurde stärker. Er preßte seine Handflächen vor die Schläfen, und jemand flüsterte ihm zu: Dreh nicht durch und beeil dich!
    Im Diplomatenviertel steigerte sich das Schneetreiben. Die Nutte von

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