Sünden der Faulheit, Die
Westend in die Innenstadt.
Ein unangenehmes Geräusch schwang durch die Wohnung. Assidertürke kniete vor dem Plattenspieler und tastete mit dem Saphir die Rillen seines Daumens ab. Entsetzt wollte Lacan ihm den Spaß verbieten, als eine neue Schmerzwelle durch seine Eingeweide lief. Eddie kannte Assis Vorliebe für technische Experimente und sah ihm belustigt zu. Dann ging er lauernd zum Bücherregal, zog ein beliebiges Buch heraus und blätterte es flüchtig durch. Lacan lag mit geschlossenen Augen flach auf dem Boden.
»Wat hamwer’n da?« schrie Eddie.
Ein böser Fluch entfuhr Lacan. Vor dem Einschlafen hatte er sein Geld, Hartmanns Geld und den Gewinn, gezählt und neben das Bett gelegt.
»Mensch, Alter, det sind ja jlatt die Zinsen vom letzten Monat. Ick bin so frei«, sagte Eddie und steckte das Geld ein.
Das Geräusch der Stereoanlage verstummte. Assi hatte den Tonarm nach oben geknickt und zuckte die Schultern.
»Mein Jott, Assi, bis’ du unjeschickt«, sagte Eddie und kam zu Lacan, der sich auf seine Ellbogen stützte und nicht glauben wollte, was er sah. Eddie tänzelte wie ein Preisboxer auf und ab und verkniff sich sein Mitleid. Er wußte zu gut, wie schnell sich das Blatt wenden konnte. Penibel schaltete Assi die beschädigte Anlage aus und trat in Eddies Schatten.
»Jetzt hör mir mal jut zu, Alter. In zwei Tagen ham wir fünf Mille, Kennwort Jlücksspirale, hassu verstanden?«
»Ich denke«, murmelte Lacan und versuchte, auf die Beine zu kommen. Eddie drückte ihn zurück und blickte in seine Augen.
»Und wenn nich: Assi is unheimlich schwer zu lenken.«
»Diss wahr.«
Eddie falzte einen Zwanzig-Mark-Schein und warf ihn auf Lacan.
»Hier hast ’n Pfund. Schmerzensjeld.«
Der Schein trudelte in Spiralen zu Boden. Assi stieß Eddie in die Seite, und sie gingen. Eddie steckte den Kopf noch einmal schnell in die Türe.
»Laß mal die Anlage reparieren.« Er wiederholte jene obszöne Geste, die er am Nachmittag bei Lacan gesehen hatte. »Is so unjemütlich ohne Musike.«
Lacan kroch zum Fenster und spähte durch die Rippen der Aluminiumjalousie. Eddie gestikulierte großspurig, Assidertürke folgte aufmerksam seinen Bewegungen. Siebert stand mit rotverschwitztem Kopf vor seinem Laden. Über der Kistenpyramide vor dem Schaufenster lag eine Plastikplane, um das Gemüse und die Kräuter vor dem Frost des Januarmorgens zu schützen. Eddie lief über die Straße, und nach einem kurzen Wortwechsel holte Siebert eine Flasche aus seinem Laden. Eddie nestelte einen Schein heraus, nahm ihm die Flasche aus der Hand, und der Gemüsehändler sah dem Phantom staunend nach.
Lacan legte den Kopf vor das kühle Metall. Er hatte Eddie unterschätzt. Vorsichtig tastete er über seine geschwollene Lippe, auf der Blut trocknete. Er nahm seine Nase zwischen die Finger und drehte sie hin und her. Gebrochen war nichts, und die Zähne waren auch noch alle da.
Wie sollte er nur bis übermorgen das Geld auftreiben? Der Gedanke war zu unerfreulich, um ihm länger nachzugehen. Im Bad zog er die Hose herunter. Seine Eier fühlten sich ganz normal an, sah man von dem Ziehen ab, das den Samensträngen in den Bauch folgte. Er wischte das Blut vom Kinn.
Was sollte er tun? Das Beste wäre, er legte sich ins Bett und schliefe noch ein paar Stunden.
Über der Akademie der Künste hing eine Glocke grauweißer Wolken. Aus den Bäumen und Sträuchern des Tiergartens klangen das Ziepen der Spatzen und Gurren der Tauben zu dem wuchtigen Bau aus Glas und Beton. Kleine Möwen hatten sich auf der Suche nach Futter aus dem Westhafen hierher verirrt und kreisten über der Wiese vor dem Schloß Bellevue. Zwei Straßenfeger trotteten in ihren grellen Overalls durch die leeren Straßen des Hansaviertels und spießten Papier auf.
Dr. Kleinschmid hatte neben seinem Galan eine unruhige Nacht verbracht. Es trug nicht zum Ruf der Akademie bei, wenn ein teures Exponat verschwand. In drei Monaten war die große Beckmann-Retrospektive geplant, und Kleinschmid mußte nun Leihgeber in aller Welt beruhigen. Nur nicht hysterisch werden, dachte er, als er das Gebäude betrat. Vor der Hausfront spannte sich noch das rot-weiße Band, mit dem die Kripo den Tatort abgesperrt hatte. In seinem Büro warf Kleinschmid sich in einen Sessel und löste die Krawatte. Sein Sekretär kam herein und fragte:
»Willste ’nen Kaffee?«
Er winkte ab. »Später.«
Das Telefon surrte. Es war Maier-Brüninghaus vom Norddeutschen Lloyd. Kleinschmid haßte den
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