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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Glas aus. Belasc sprang auf.
    »Ein wenig mehr Gin diesmal«, sagte Steenbergen und fläzte sich im Ledersessel.
     
    Die Redakteure der Frühnachrichten sortierten die Meldungen der Nacht. Eine Sekretärin servierte starken Kaffee und legte in einem anderen Raum ihren Kopf auf die Tasten einer Schreibmaschine.
    ›Smogalarm im Ruhrgebiet‹ und ›Massenkarambolage bei Rosenheim‹. Die Präsidenten und Rebellen standen alle noch vor dem Spiegel und rasierten sich. Eine friedliche Nacht in der Welt.
    Die erleuchteten Fenster der Nachrichtenredaktion zogen sich wie ein Band um das neunte Stockwerk der Sendezentrale. An einem Taxistand vor dem Haupteingang wartete eine Reihe Droschken auf die letzten und ersten Gäste. Ab und zu kreiste das Licht in der Rufsäule, und der Fahrer des ersten Wagens lief mit einem Vierkantschlüssel zu seinem Auftrag.
    Ilona saß auf ihrer Pritsche und zählte den Preis der Nacht. Mit der Temperatur sank auch die Lust. Die Gummiunterlage mußte gereinigt werden. In ungelenker Schrift hinterließ sie einen Zettel für die Putzfrau, die unter »room-service« firmierte. Aus Nordwesten kam ein neues Tief mit Wolken und Schnee.

Dritter Tag und dritte Nacht
    Der Gemüsehändler Siebert lief durch die weite Halle des Großmarkts und suchte Sonderangebote. Sonderangebote und seine Praxis, anzuschreiben, sicherten ihm die Existenz zwischen Supermärkten und Kaufhäusern. Er wurde alt. Lange würde seine Kraft nicht mehr vorhalten, jeden Morgen um vier aufzustehen und mit dem klapprigen Lieferwagen die Waren vom Großmarkt zu holen. Wenn seine Frau endlich stürbe, könnte er sich mit der ausgezahlten Lebensversicherung zur Ruhe setzen, doch Muskelschwund war ein Siechtum ohne Ende.
    Mahmut, sein Nachbar, wälzte sich im Doppelbett neben seiner schwangeren Frau. Manchmal erschien ihm Hafez al Assad im Traum und drohte ihm. Wenn er dann schweißgebadet aufwachte, war er froh, in Schöneberg und nicht auf dem Golan zu sein. Jedem sein Verhängnis.
    Florence Blumenfeldt schlief auch in dieser Nacht unruhig. Als sie gegen Morgen hochfuhr, schien es ihr, als habe sie überhaupt nicht geschlafen.
    Die Nachttischlampe warf einen matten Schein über das Bett, hinter den Fenstern lauerte die Dunkelheit. Irgendwann stand sie auf und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie atmete tief durch und beschloß, alle Angriffe der Vergangenheit zurückzuschlagen. In ihren Schläfen pulsierte das Blut. Sie hatte sich verboten, über ihr Leben nachzudenken, das Haus in Hamburg, ihren Vater, doch seit Wochen bedrängten sie die Erinnerungen immer unnachgiebiger. Es wäre vernünftig gewesen, lange wegzufahren und einen dicken geraden Schlußstrich zu ziehen. Draußen hob der erste Verkehrslärm an. Vergeblich wehrte sie sich gegen die Tränen, die über ihre Wangen liefen. Ein salziger Geschmack war auf ihrer Zunge, und sie legte den Kopf in die Armbeuge.
    Obwohl sie früher die Gutmütigkeit ihres Vaters verachtet hatte, war es nun, als vermisse sie diese Gutmütigkeit und Ruhe am stärksten. An einer Weide hinter dem Haus hatte ein großer Autoreifen gehangen, in dem sie selbstvergessen geschaukelt hatte, und sie wünschte sehnsüchtig, sich wieder an den von der Sonne gewärmten Gummi schmiegen zu können.
    Florence, das ist vorbei, dachte sie und hob den Kopf. Ziellos lief sie durch ihre Wohnung, die Arme um den Körper geschlungen. An ihrem Sekretär wühlte sie in einer Schublade. Sie rieb die nackten Füße aneinander, um sie zu wärmen. Endlich fand sie den Brief. Das Papier war unten angekokelt. Sie zögerte, dann überflog sie die Zeilen, ohne sie richtig zu lesen:
    Hamburg, 7 / 10 / 76
    Mein liebes Kind,
    dies ist sicherlich der schwerste Brief, den ich in meinem Leben schreiben werde.
    Ohne Ausflüchte oder Entschuldigungen zu suchen, die es nicht gibt: Ich bin am Ende. Ich hoffe, ich brauche Dir nicht zu erklären, durch wen und wie, Du wirst es wissen oder geahnt haben. Mit dem Verkauf des Hauses und des Firmeninventars sind die letzten Verbindlichkeiten gedeckt – Du bist schuldenfrei. Wende Dich vertrauensvoll an Onkel Pieter, er wird Dir weiterhelfen, so gut er kann und es in seiner Macht steht.
    Wenn ich an Deine Liaison mit diesem Schwein M. denke, wird es mir schwer ums Herz, mehr als Du Dir vorstellen kannst. Alles ist meine Schuld, ich habe Dich vernachlässigt, was habe ich Dir schon als Vater geboten? Wenn Du mir trotz allem einen Wunsch erfüllen kannst, dann trenne Dich von ihm. Meine

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