Sünden der Faulheit, Die
Arbeitseifer im Nichts verschwinden. Seine Lider klappten einfach zu, als hingen Gewichte daran. Er zündete verstohlen eine Zigarette an, und dann bekam er Lust auf ein Bier. Er drückte die Zigarette an seiner Schuhsohle aus, wedelte mit dem Plattenkatalog und schlich zum Ausgang. Wie die Dinge standen, würde die Sendung nie fertig werden. Vor dem Aufzug begegnete ihm Thomas Flegel, der einer brünetten Praktikantin das Haus zeigte.
»Aha, Bernhard, fleißig wie immer«, sagte Flegel. Lacan drängte sich an ihnen vorbei in den Aufzug.
»Darf ich bekanntmachen?« fragte Flegel, doch Lacan sagte gedehnt, Silbe für Silbe betonend:
»Fick dich ins Knie!«
Die Aufzugtüren schlossen sich, und das »Wichser« verhallte dumpf in der Stahlkabine. In der Eingangshalle waren Telefonzellen. Irgendwann mußte es sein, warum nicht jetzt? Im Branchenbuch suchte er die Abteilung Versicherungen, und seine Nervosität stieg unangenehm an. Jemand pumpte eine Blase in ihm auf, und bevor er die Nummer des Norddeutschen Lloyd wählte, rülpste er so oft, bis sich sein Magen wie ein geplatzter Luftballon anfühlte. Von der Telefonistin ließ er sich verbinden.
»Maier-Brüninghaus!« schnarrte es aus der Leitung.
Lacans Kopf war plötzlich ganz leer.
»Ja bitte, wer ist da?«
»Nicht so wichtig. Stimmt es eigentlich, daß der Oelze bei euch mit 150 Mille versichert ist?«
»Ja, nein, das heißt, wer sind Sie? Wissen Sie etwas?«
»Vielleicht hätte ich ein Angebot.«
»Ein Angebot?«
»Wieviel sind dem Lloyd ›Die Gehörnten‹ denn wert? Hunderttausend?«
Lacan spürte die Überraschung des Versicherungsagenten. Maier-Brüninghaus räusperte sich.
»Wir lassen mit uns reden. Können wir in Kontakt kommen?«
Soweit hatte Lacan nicht gedacht.
»Was zahlt ihr für das Bild?«
»Wir müßten eine Basis finden, aber wir sind da ganz offen. Wie Sie sicher wissen …« Maier-Brüninghaus versuchte, Zeit zu gewinnen. Das Gespräch dauert schon viel zu lange, dachte Lacan und sagte:
»Ich melde mich wieder«, und legte auf.
Der Weg zum Erpresser ist beschwerlich, und er hatte gerade das erste Lehrgeld bezahlt. Man muß wissen, was man will und wie man es will. Lacan lehnte sich erschöpft vor die Holzwand der Telefonkabine und blickte durch die getönten Scheiben. Er müßte sich einen Plan zurechtlegen. Noch saß er am längeren Hebel; wenn man nur Hartmann nicht fände.
In der Kantine reihte er sich in die Schlange am Buffet. Die beiden Frauen hinter der Theke arbeiteten atemberaubend langsam, aber hier schien jeder Zeit genug zu haben. Lacans Gier nach einem Bier wuchs mit jedem Schritt, den er sich vorschob.
»Was darf’s sein, junger Mann?«
»Zwei Bier.«
Als er nach einem freien Platz suchte, sah er Irene, die ihn beobachtet hatte. Sein Herz setzte aus und sprang holpernd wieder an. Sie lächelte und bot ihm mit einer Handbewegung den Stuhl neben sich an.
»Gut nach Hause gekommen?«
»Immerhin nach Hause gekommen«, sagte Lacan und stürzte die erste Flasche.
»Nachwehen?«
»Nimm’s, wie du willst.«
»Du trinkst zuviel«, sagte sie ohne Vorwurf.
»Was soll das?« brauste er auf. »Natürlich, aber frag’ mich nicht, warum.«
»Warum?«
Lacan hob den Kopf.
»Sieh dich doch mal um.«
»Seit einer halben Stunde.«
»Dann wundert es mich, daß du immer noch vor einem Kaffee sitzt.«
Sie sahen sich an. Lacan bemerkte zum erstenmal ihre schönen Augen, und Irene mußte sich beherrschen, um ihn nicht mitten in der Kantine zu umarmen und zu küssen. Lacan nippte an der zweiten Flasche.
»Du sollst zu Leschek kommen.«
»Was will der von mir? Jedesmal, wenn ich dich sehe, soll ich mal zu Leschek kommen.«
»Er hat Sehnsucht nach dir.«
»Leschek ist doch verheiratet«, kicherte Lacan. Irene schüttelte den Kopf, und er wiederholte ihre Sätze:
»Wie alt bin ich eigentlich? Siebzehn? Ich weiß.«
»Vergiß es«, sagte Irene.
»Ich brauche Geld«, sagte Lacan.
Irene strich ihr braunes Haar zurück.
»Wieviel?«
» 100 Mark.«
Schweigend holte sie aus einem Campingbeutel zu ihren Füßen ein Portemonnaie und steckte den Schein in Lacans Tasche. Bernhard wurde rot.
»Erklär’ mir nichts«, sagte sie, und er machte eine hilflose Geste. Irene legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn zu sich.
»Ich liebe dich«, sagte sie klar und deutlich. Dann stand sie auf und verschwand zwischen den Tischen.
Lacan sah ihr nicht nach. Eine Zeitlang saß er da mit gesenktem Kopf, bis er Flegels
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