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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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nach ihm aus, aber er hatte ihr den Rücken zugewandt und schaute sich nicht um.
    Einsamkeit krallte sich wie eine Faust in ihre Brust, klemmte ihr die Lunge ein, zerquetschte ihr Herz.
    Großer Gott, ich habe nicht die Kraft, diesen Tag durchzu-313
    stehen. Sie schlug sich entsetzt eine Hand vor den Mund bei dem Gedanken, daß sie das nicht einmal mehr mit ihrem Mann, mit dem Vater ihrer Kinder, gemeinsam bewältigen konnte.
    Alles war so anders gewesen, damals mit Josh als Baby. Paul hatte dankbar und stolz an seiner Familie teilgenommen und Hannah nie an seiner Liebe gezweifelt. Er hatte die Chancen, die das Leben bot, begeistert aufgegriffen, begierig seiner Familie die Dinge zu bieten, die er in seiner Jugend entbehren mußte.
    Aus einem Arbeiterviertel stammte er, wo die Lohntüte nie reichte. Im Hinblick auf Josh wollte er der fürsorgliche, liebevolle Vater sein, den er nie gehabt hatte. Er hatte in seiner Frau eine Gleichberechtigte gesehen, einen Partner, jemanden, den er lieben und respektieren konnte.
    Jetzt erblickte Hannah einen egoistischen, verbitterten Mann, eifersüchtig auf ihren Erfolg und enttäuscht über seine eigene Anonymität. Ein Mann, verzehrt von dem Bedürfnis Dinge zu erwerben, ratlos, warum diese Dinge ihm nicht das erwartete Glück brachten. Sie fragte sich, was aus dem Freund geworden war, den sie geheiratet hatte, fragte sich, ob er für sie genauso verloren war wie Josh.
    O mein Gott, das wollte ich nicht denken! Ich glaube nicht, daß er für immer weg ist, unter gar keinen Umständen!
    Unwissenheit ist nicht Unschuld, sondern SÜNDE.
    Einsamkeit, Furcht, Schuldgefühle stürmten auf sie ein. Panik schnürte ihr die Kehle zu. Sie zwang sich aufzustehen und lief in dem blassen Rechteck von Licht, das durch das Fenster auf den Teppich fiel, hin und her, zwang sich zu denken, zu planen, zwang die Räder ihres Gehirns, sich zu drehen. Sie zitterte wie ein Alkoholiker im letzten Stadium von Delirium tremens, mußte das letzte Quentchen Kraft zusammenraffen, um nicht zu kollabieren. Die Zähne in die Unterlippe vergraben, kämpfte sie gegen den Drang, sich zu krümmen wie ein Embryo. Einen Fuß vor den anderen, vor den anderen, vor den anderen … Schritt, 314
    Schritt, Schritt, Drehen. Schritt, Schritt, Schritt, Drehen … Sie trug ein zu großes Vikinghemd und Wollsocken, Arme und Beine waren nackt. Die Kälte ergoß sich durchs Fenster wie Mondlicht, schien durch Haut und Gewebe in ihre Knochen zu dringen.
    So kalt … Ist Josh auch kalt? Kalt und allein. Eiskalt. Steinkalt …
    »Was machst du da?«
    Hannah riß den Kopf herum, als sie Pauls Stimme hörte. Ihre Hände waren abgestorben. Sie sah ihre Handabdrücke auf dem Fenster, wo ihr Atem das Glas beschlagen hatte.
    »Ich konnte nicht schlafen.«
    Paul schwang seine Beine über die Bettkante, setzte sich auf und zog die Daunendecke über seinen Schoß. Im fahlen Licht des Raums sah er grau und dünn aus, älter, härter: Falten des Zorns und der Enttäuschung hatten sich neben den Augen und dem Mund in seinem Gesicht gebildet. Ein Seufzer entwischte seiner Kehle, als er die Lampe anschaltete und einen Blick auf den Wecker warf.
    »Ich muß heute etwas tun«, verkündete Hannah, was sie
    mindestens genauso überraschte wie ihn. Die Worte hallten durch ihren Kopf, wurden greifbar und nachdrücklich. Sie richtete sich auf, mußte um jeden Preis wieder ein Stück von sich selbst finden. Schließlich war sie es gewohnt, angesichts von Krisen in Aktion zu treten. Zumindest hatte man die Illusion des Beteiligtseins. »Ich muß aus diesem Haus raus. Wenn ich noch einen Tag hier sitze, werde ich wahnsinnig.«
    »Du kannst hier nicht weg«, fuhr Paul auf. Er schlug die Bettdecke zurück, erhob sich und zog seine weite, gestreifte Pyjamahose hoch, dann nahm er seinen schwarzen
    Frotteemantel, der am Fuß des Betts lag, um seine Schultern.
    »Du mußt hierbleiben, für den Fall, daß sie anrufen.«
    »Du kannst das Telefon genausogut beantworten wie ich.«
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    »Aber ich muß doch mit dem Suchtrupp …«
    »Nein, Paul. Ich verlasse dieses Haus.«
    Er lachte höhnisch. »Und was, bitte, willst du tun? Glaubst du etwa, du holst den Karren aus dem Dreck? Dr. Garrison, Retterin der Menschheit! Ihr Mann kann den Sohn nicht finden, aber ihr wird es gelingen?«
    »Verflucht noch mal, Paul!« schrie sie wutentbrannt. »Warum nimmst du alles so verdammt persönlich? Ich hab die Nase so voll von deiner Eifersuchtsnummer, daß ich kotzen könnte. Tut

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