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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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zu
    verhindern, packte sie Tom McCoy um die Taille und ließ sich von ihm stützen, dankbar für seine solide Kraft.
    »So ist’s gut«, murmelte er. »Halten Sie sich einfach fest, Hannah. Ich lass Sie nicht fallen.«
    Er schleppte sie in die Freiwilligenzentrale, wo die
    Anwesenden nicht mehr auf läutende Telefone oder blinkende Cursors der Monitore achteten, sondern nur noch Augen für sie hatten. Hannah hielt den Kopf gesenkt, es war ihr peinlich, daß man sie so schwach sah, angekuschelt an den Stadtpfarrer. Doch Pater Tom ignorierte ihre Bemühungen, etwas Abstand
    zwischen sie beide zu bringen. Er führte sie mit entschlossener Miene zu einem ehemaligen Lagerraum, in dem man Tische und Stühle für Kaffeepausen aufgestellt hatte.
    Vorsichtig setzte er sie in einen Stuhl und scheuchte die neugierigen und besorgten Zuschauer hinaus, mit der Ausnahme von Christopher Priest, der mit den willkommenen Gaben Koffein und Zucker erschien. Der Professor stellte einen Teller voll Plätzchen auf den Tisch.
    Tom nahm ihm die Tasse Kaffee ab und drückte sie Hannah in die Hand. »Trinken Sie das aus«, befahl er. »Sie sehen aus wie eine Eisskulptur. Mein Truck steht hinterm Haus. Ich geh jetzt und mach die Heizung an, dann bring ich Sie nach Hause.«
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    Hannah murmelte ein Danke und lächelte tapfer. Doch das Mitgefühl in seinen Augen machte dem ein Ende. Mitgefühl, nicht Mitleid, ein Angebot der Kraft seiner Freundschaft! Er strich ganz beiläufig mit dem Handrücken über ihr Gesicht, als würde er so etwas jeden Tag machen, aber Hannah verspürte ein leichtes, erregendes Kribbeln. Sie lehnte sich zurück und verpaßte sich im Geist eine Ohrfeige für ihre Reaktion. Das war Pater Tom, Priester, Beichtvater, ehemaliger Cowboy, oft zerstreut und dennoch Hirte der Schäfchen von St. Elysius.
    »Sie haben wieder Ihre Handschuhe vergessen«, murmelte sie.
    Er zog sie aus seiner Tasche und winkte damit, dann ging er zur Hintertür. Hannah wandte ihre Aufmerksamkeit der Kaffeetasse zu, die ihre Hand wärmte, um einfach an etwas Alltägliches zu denken. Sie nippte an der dampfenden Brühe und stellte überrascht fest, daß er genau nach ihrem Geschmack war.
    »Ich hab mich dran erinnert, daß Sie Milch nehmen«, sagte der Professor stolz. »Wir saßen uns am Tisch gegenüber, bei dem Dinner der Handelskammer letztes Jahr.«
    »Und Sie haben sich erinnert, daß ich Milch nehme?« Hannah war gerührt.
    Er setzte sich auf die Kante eines anderen Tisches, die Hände in die Taschen einer schwarzen Daunenjacke gesteckt, die sich wie ein aufblasbarer Muskelanzug um ihn blähte. Sein Kopf ragte auf einem mageren Hals aus dem Kragen.
    »Ich habe ein Gedächtnis für Triviales«, sagte er. »Es gab noch keine Gelegenheit, Ihnen zu sagen, wie leid mir das mit Josh tut.«
    »Danke«, sie senkte die Augen. Was für ein seltsames Ritual, dieser Manierentanz des Beileids. Es klang so sinnlos, daß Leute sich von etwas betroffen zeigten, an dem sie keinen Anteil hatten; die Höflichkeit, ihnen dafür zu danken, erschien ihr hohl und leer. Das war ein weiterer Aspekt ihrer Rolle als Opfer, mit dem sie sich nicht abfinden konnte.
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    Sie spürte den prüfenden Blick des Professors, der sie studierte
    – wie er alles, was lebte und atmete und nicht an eine Steckdose angeschlossen werden konnte, studierte – so, als würde er Maschinen wesentlich rascher durchschauen.
    »Ich werde wohl nicht so gut damit fertig«, beichtete sie.
    »Wie glauben Sie denn, damit fertig werden zu sollen?«
    »Ich weiß es nicht. Besser. Anders.«
    Er legte den Kopf schief. Die Pose erinnerte an den Androiden Data aus Raumschiff Enterprise. Eine von Joshs Lieblings-fernsehserien.
    Diese Assoziation stach wie eine Nadel in ihr Herz. »Es ist seltsam«, sagte er, »daß die Menschen an einen Punkt
    gekommen sind, an dem sie fast das Gefühl haben, für alles was in ihrem Leben passiert, vorprogrammiert zu sein. Spontane Reaktion ist ein Naturgesetz, die Menschen können ihre Gemütsregungen genausowenig kontrollieren, wie sie die überraschenden Folgen daraus in der Hand haben. Und trotzdem versuchen sie es. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Hannah. Lassen Sie Ihre Reaktionen einfach zu.«
    Verzagtheit zeigte sich auf ihrer Miene, als sie noch einen Schluck Kaffee nahm. »Leichter gesagt als getan. Ich hab das Gefühl, ich spiele eine Rolle in einem Theaterstück, aber ohne Skript.«
    Der Professor kniff den Mund zusammen und brummte
    nachdenklich.

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