Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
Vom Netzwerk:
Hannah stellte sich vor, wie sein Gehirn klickte und klackte wie ein Computer, der Informationen verarbeitete.
    »Ich sollte Ihnen danken, da ich gerade die Gelegenheit dazu habe«, sie schaute durch die Tür zu dem ehemaligen Aus-stellungsraum, in dem Menschen, die sie nicht kannten, Monitore anstarrten und Handzettel in Umschläge stopften. »Wir sind wirklich dankbar für die Zeit und die Fähigkeiten, die Sie und Ihre Studenten einsetzen. Jeder gibt sich soviel Mühe zu helfen.«
    323
    Ein Hauch von Rosa überzog sein bleiches Gesicht, als er abwinkte. »Es ist das mindeste, was wir tun können.«
    Die Hintertür ging auf, und Pater Tom inszenierte einen dramatischen Auftritt in einer Wolke windgepeitschter Auspuffgase, mit total beschlagener Brille. »Kommen Sie, Doktor, wenn wir uns beeilen, können wir die Reporter noch abhängen.«
    Er warf ihr einen langen, grauenhaften Schal zu, der aus Wollresten in den abscheulichsten Farben des Spektrums gestrickt war, und eine schwarze Baseballkappe mit THE GOD
    SQUAD in kühnen weißen Lettern aufgedruckt.
    »Was ist das?« fragte Hannah.
    Aus der Jackentasche zog er eine falsche Brille mit großer Plastiknase und Schnurrbart. Er klappte die Bügel auseinander, schob ihr die Brille aufs Gesicht und grinste: »Ihre
    Verkleidung.«
    12 Uhr 04, -7 Grad
    »Ich bin kein großartiger Koch, aber virtuos beim Aufräumen von Resten im Mikro.«
    »Es riecht wunderbar«, sagte Hannah pflichtschuldigst, aber ohne große Begeisterung, als er ihr einen Steingutteller mit Rindfleisch vorsetzte. Er sah aus wie ein Titelbild des Gourmet-journals – dicke Brocken Fleisch und Kartoffeln, grellorange Karottenscheiben, giftgrüne Erbsen und über allem eine dicke, üppige Sauce. Zu schade, daß sie keinen Appetit hatte.
    »Unterstehen Sie sich ja nicht, das wegzuschieben«, warnte Pater Tom und setzte sich auf den Stuhl gegenüber. »Sie werden es essen, oder ich flöße es Ihnen Löffel für Löffel ein. Sie brauchen Nahrung, Hannah. Beinahe wären Sie in Ohnmacht gefallen.« Widerwillig nahm sie ihre Gabel und spießte eine Karottenscheibe auf. Ihre Hand zitterte, als sie die Gabel zum 324
    Mund hob. Tom beobachtete sie wie ein Adler, während sie kaute und schluckte. Er öffnete eine Flasche Bier und reichte sie ihr über den Tisch.
    »Das macht Appetit«, sagte er zwinkernd, »der Ire in mir weiß Bescheid!«
    Hannah lachte leise. Sie kostete ein kleines Stück Rindfleisch und spülte es mit Bier hinunter. Sie saßen in der Küche des Pfarrhauses, ein großes viktorianisches Haus auf dem Grundstück hinter St. Elysius. In vergangenen Zeiten, als es noch Priester im Überfluß gab, hatte das Haus als Heim und Hotel für eine Schar von Geistlichen gedient. In den fünfziger Jahren hatte es Klerikale mit Alkoholproblemen beherbergt. Jetzt lebte Tom allein in dem weitläufigen Komplex.
    Er hatte den ganzen ersten Stock abgeschlossen, um Heizung zu sparen.
    Die Küche war sonnig, mit alten Küchenvitrinen und einer gelben Tapete mit Teekesseln. Der kleine Tisch stand in einer Nische, wo er nicht störte; aber es war ohnehin niemand da, der hätte stören können. In dem Haus befand sich, abgesehen von ihnen beiden, kein Mensch.
    »Danke, daß Sie mich gerettet haben«, Hannah senkte den Blick.
    Tom bestrich ein Stück hausgebackenes Brot mit Butter für sie.
    Sie schämte sich, daß man sie hatte retten müssen, das sah er deutlich, genauso, wie sie sich schämte, weil sie an seiner Schulter geweint hatte. Sich so krampfhaft zusammenzureißen, war nicht gut für sie. Es tat ihm in der Seele weh, wie sie diese Tortur als die Hannah Garrison durchstehen wollte, die alle in Deer Lake kannten und liebten – ruhig, stoisch, selbstsicher und weise in jeder Lebenslage. Die Ruhe war zerschmettert, die Selbstsicherheit dahin, alles mit einem einzigen Schlag. Verloren trieb sie auf offener See, und er sah keine Anzeichen, daß Paul sie bei der Navigation unterstützen würde. Was für ein Mann mußte 325
    das sein, der so blind war, in Hannah das Juwel zu übersehen?
    »Ich weiß, daß alle versuchen zu helfen«, sagte sie mit gequälter Stimme. »Alle sind so wunderbar, es ist nur, daß … Es ist alles so … falsch. «
    Sie hob den Kopf und sah ihn an, Schmerz und Verwirrung schwammen in ihren blauen Augen. Ihr Haar war noch
    zerdrückt von seiner Kappe, goldene Strähne fielen über ihre Stirn und baumelten über eine Wange. Sie sah aus wie ein Engel, der einen langen Sturz aus einer Wolke hoch

Weitere Kostenlose Bücher