Sünden der Nacht
steckte seine Rechte in die Jackentasche, um sie an einen chemischen Handwärmer zu legen. »Weißt du, daß Olie so ungefähr fünf Computer da drin hat?«
»Woher hat der denn das Geld dafür?«
»Er hat mir gesagt, das wären ausrangierte Geräte aus
Geschäften, die ihre Systeme aufbessern. Der Gefängnisdirektor von Walla Walla hat mir erzählt, Olie hätte bei Intelligenztesten gut abgeschnitten. Er studiert immer irgend etwas.«
»Kleine Jungs, zum Beispiel.«
»Ja, aber Olies Bewährungshelfer schien überrascht, als ich ihm erzählte, was hier abläuft. Er glaubte, Olie könnte nicht gewalttätig werden.«
Megan ließ den Vorhang fallen und warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Er war wegen erzwungenem Sex mit einem Kind hinter Gittern. Das ist nicht gewalttätig?«
»Es gibt verschiedene, auch nichtgesteuerte Ursachen.«
»Also, ich hab das Strafregister dieses Typen gelesen. Für mich waren das die klassischen Zeichen für Eskalation – durch fremde Fenster gucken, sich entblößen, dann fummeln, dann Vergewaltigung. Was haben denn die Jungs in Washington zu ihrer Arbeit nach Ablauf der Bewährung zu sagen?«
Mitch hob die Schultern. »Olie ist nicht der erste Verbrecher, der sich abgeseilt hat.«
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Megan warf einen Blick auf die Uhr. Neun. Olie arbeitete eigentlich bis 11 Uhr, aber sie mußten in Stellung sein für alle Fälle. Ihr Blick schweifte durch das kleine, vollgestopfte Schlafzimmer und verharrte auf dem Bett mit der weißen Chenilledecke, auf das sie ihre beiden Walkie-Talkies geworfen hatten. Walkie-Talkies, Cops, die mit Pistolen im Schulterhalfter umherstreiften und Ferngläser, die auf das Haus auf der anderen Straßenseite gerichtet waren. Wahrscheinlich das Aufregendste, was dieses Schlafzimmer je erlebt hatte, außer Arlan und Ramona waren total ausgeflippt.
Mitchs Handy piepste. Er setzte das Fernglas ab und klappte das Telefon auf. »Chief Holt.«
»Daddy?« Die zittrige kleine Stimme katapultierte Mitch von einer Spannung in die nächste. »Jessie? Schätzchen, warum bist du so spät noch auf?«
Ein leises Schniefen. »K-kommst du und h-holst mich heute abend?«
Mitch zerriß es das Herz. Seine Tochter hatte er vergessen. Da waren Anrufe zu erledigen gewesen und ein Treffen mit dem Bezirksstaatsanwalt. Er hatte sein Team aussuchen müssen, Ausrüstung organisieren und Überwachungsposten bestimmen.
Und inmitten von all dem war ihm sein ein und alles entgangen.
»Tut mir leid, Schätzchen«, entschuldigte er sich. »Nein, ich schaff es heute abend nicht. Du wirst bei Oma und Opa bleiben müssen. Es ist wirklich wichtig, daß ich heute abend arbeite.«
»D-das s-sagst du immer!« jammerte Jessie. »Ich mag es nicht, wenn du ein Cop bist!«
»Bitte sag das nicht, meine Süße.« Klang diese Beschwerde in Megans Ohren genauso jammervoll wie in seinen? Er haßte es, Jessie zu enttäuschen. Er haßte es noch mehr, wenn sie seinem Job die Schuld daran gab, weil das die Erinnerung an Allison zurückbrachte und die Streitereien mit ihr, und ihre Bitten, die ständig auf taube Ohren gestoßen waren. Schuldgefühle
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schnürten ihm wie ein saurer Kloß die Kehle zu. »Ich
verspreche, daß wir bald wieder einen Abend zusammen haben, Schätzchen. Das hier ist wirklich wichtig. Ich versuche Josh zu finden, damit er wieder bei seiner Mom und seinem Dad sein kann. Weißt du, er hat sie fast eine Woche nicht mehr gesehen.«
Die Leitung blieb einige Zeit stumm, während Jessie sich das durch den Kopf gehen ließ. »Oh, dann muß er ja alles alleine machen«, sagte sie leise. »Er ist sicher traurig, so wie ich, Daddy.« Sie klang viel zu alt für eine Fünfjährige, viel zu desillusioniert für ein kleines Mädchen.
»Ich möchte auch bei dir sein, Baby«, flüsterte er.
Joy kam jetzt ans Telefon, ihre Stimme klang wie ein
Rasiermesser in seinem Ohr. »Tut mir leid, daß wir dich belästigt haben, Mitch«, sagte sie bissig. »Jessie war so aufgeregt, daß wir sie nicht beruhigen konnten. Ich hab ihr gesagt, sie soll nicht mit dir rechnen …«
»Hör mal, Joy.« Mitch zwang sich, seinen Zorn zu
unterdrücken, das war weder die Zeit noch der Ort. »Ich steck hier mitten in einer Sache und muß die Leitung offenhalten. Tut mir leid, daß ich vergessen habe, dich anzurufen. Hoffentlich macht es nicht zuviel Umstände, wenn Jessie heute nacht bei euch bleibt. Und darüber, ob Jessie mit mir rechnen kann oder nicht, werden wir ein andermal diskutieren.«
Er unterbrach die
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