Sünden der Nacht
verfluchte sich und Fletcher, während sie ihre Hand aus Pater Toms riß. Wie lange stand Fletcher schon da? Er hatte keine Veranlassung, sie zu bespitzeln oder sie vorwurfsvoll anzustarren, als hätte er sie bei etwas Unerlaubtem erwischt. Und sie hatte keinen Grund sich schuldig zu fühlen … aber tat es doch.
»Mensch, Albert«, sagte Tom, zog die Hand zurück, die er Hannah angeboten hatte und drückte sie auf sein Herz. »Willst du uns einen Herzinfarkt verpassen? Was, zum Teufel, hast du denn im Keller zu suchen?«
Der Diakon sah ihn mit strenger Miene an. Er war wie üblich in schwarz gekleidet – Hose, Rollkragenpullover, alte Steppjacke -, eine Gewohnheit, die vielleicht aus der Trauer um seine Frau entstanden war, oder durch seine Scheinheiligkeit. Er hielt einen ziemlich großen Pappkarton im Arm, voller Wasserflecken und mit einer weißen Schimmelschicht bedeckt. Der modrige Geruch überlagerte das Aroma des Eintopfs. »Ich sortierte die Sachen im Lagerraum.«
»Hinten im Verlies?« Tom schüttelte sich angewidert. »Das Zeug muß da seit der Auferstehung liegen. Was willst du denn damit?«
»Es ist Geschichte und verdient erhalten zu werden.« Der Diakon warf Hannah einen düsteren Blick zu. »Tut mir leid, wenn ich bei etwas gestört habe.«
Tom schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Er hatte alle Mühe, seinen Zorn im Zaum zu halten. Gott alleine würde sein Richter sein. Trotz Fletchers frömmelndem Gehabe war er nicht Gott, nicht einmal ein passabler Ersatz.
»Dr. Garrison brauchte Zuflucht. Soweit ich informiert bin, sind wir nach wie vor zuständig für Herberge und Trost.«
Fletcher sah durch ihn hindurch. »Natürlich, Pater«, murmelte er. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen …«
Er nickte Hannah zu und marschierte zur Tür hinaus, unter Hinterlassung einer sehr gespannten Atmosphäre. Hannah vermied es, Tom in die Augen zu sehen und stand auf. Sie zog ihren Mantel von der Stuhllehne.
»Ich sollte nach Hause fahren«, sagte sie leise. »Paul wird sich schon wundern.«
Tom seufzte und schob seine Brille hoch. »Sie haben nicht aufgegessen.«
»Zu Hause kann ich weiteressen. Ich verspreche es, es gibt reichliche Auswahl, die Aufläufe türmen sich bereits.« Sie machte ihre Jacke zu, dann zwang sie sich, ihre Schuldgefühle und ihre Scham zu verdrängen, und sah ihm in die Augen. »Trotzdem, danke. Für das Essen … für die Unterstützung … für alles.«
Er wollte sagen, es wäre selbstverständlich, aber das war es nicht. Sondern etwas wesentlich Komplizierteres, als sie beide jetzt brauchen konnten und gleichzeitig etwas so Einfaches, daß es weder einer Entschuldigung noch einer Erklärung bedürfen sollte. Er zog seine Jacke an und kramte die Schlüssel aus seiner Tasche. »Kommen Sie, Doc, ich fahr Sie nach Hause.«
Sie ließen ihren Van in der Stadt stehen, um die Medien von ihrer Spur abzulenken. Hannah bat ihn nicht ins Haus. Sie wollte den Tag nicht noch mehr verderben, indem sie sich anhörte, wie Paul an ihm herumnörgelte.
Aber Einsamkeit drückte wie eine schwere Last auf ihre Schultern, als sie die Treppe hochstieg und den Wirtschaftsraum betrat. Am Küchentisch saß ein Mann vom BCA, trank Mountain Dew und las Guns & Ammo . Er nickte ihr zu. Im Wohnzimmer lief der Fernseher mit einem Eiskunstlaufwettbewerb, den keiner anschaute. Leises Stimmengemurmel lockte sie die Treppe hinauf und den Flur entlang zu Lilys Zimmer.
»Paul? Ich bin wieder da.«
Hannah drückte die Tür auf und blieb stehen. Karen Wright stand im Raum mit Lily auf ihrer Hüfte. Sie lächelte das Kind an, kitzelte es am Kinn und drückte es an sich. Paul hatte sich daneben aufgebaut. Er
hob den Kopf, machte unwillkürlich einen Schritt zurück, mit angestrengt ausdruckslosem Gesicht.
Lily merkte nichts von der plötzlichen Spannung im Raum, sie strahlte und streckte Hannah ein Ärmchen entgegen. »Mama!« »Tag, Süße«, erwiderte sie, dann glitt ihr Blick an ihrer Tochter vorbei. »Karen, ich hab nicht erwartet, daß du heute schon wieder kommst. Gehn der Nachbarschaftsbrigade die Rekruten aus?« Karen errötete. »Oh, also, ich, äh – ich hatte es nicht vor, aber dann hat Garrett mir gesagt, er müßte heute wohin, also war ich allein und da dachte ich mir …«
»Großer Gott, Hannah«, schimpfte Paul. »Die Leute wollen doch nur helfen. Mußt du sie denn wie Verbrecher verhören?«
»Das hab ich nicht.«
Er ignorierte ihren Protest. »Und, hast du die Welt gerettet
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