Sünden der Nacht
»Ja?«
»Christopher Priest für Sie, Chief«, verkündete Natalie. »Sagt, er könnte vielleicht bei den Ermittlungen helfen.«
»Schicken Sie ihn rein.«
Mitch kippte den Rest seines Essens in den Mülleimer, wischte sich die Hände mit einer Serviette ab und stand auf. Megan erhob sich ebenfalls und warf den Rest ihrer Banane weg. Adrenalin schoß durch ihren Körper bei dem Gedanken, daß es vielleicht eine Spur geben könnte.
Der Mann, der ins Büro kam, sah nicht gerade aus, als könnte er irgend jemanden retten. Er war klein, schmächtig und versank fast in einer blauweißen Studentenjacke des Harris College. Selbst mit der Jacke konnte ihn keiner für einen Sportsmann halten. Höchstens eine Wagenladung Steroide hätte den Professor zu etwas anderem als einem Computerzwerg machen können. Christopher Priest sah blaß und zerbrechlich aus, wie ein Mann, dessen gefährlichster Sport Schach war. Megan schätzte ihn auf Ende dreißig, ein Meter siebzig, mit bräunlichen Haaren, schmutzigbraunen Augen hinter einer Brille, die für sein Gesicht viel zu groß war. Unscheinbar.
»Professor«, Mitch begrüßte ihn. »Das ist Agent O’Malley vom BCA. Agent O’Malley, Christopher Priest, Leiter der Fakultät für Computerwissenschaften am Harris College.«
Sie schüttelten sich die Hände – Megans stark und fest, eine Hand, die eine Glock-9-mm-Halbautomatik ohne zu zittern halten konnte, Priests ein dünner, faltbarer Sack aus Haut und Knochen, völlig ohne Widerstand. Es kostete sie einige Mühe, nicht hinzuschauen und nachzuprüfen, ob sie ihn zerquetscht hatte. »Ihr Name kommt mir bekannt vor«, sagte sie und überlegte fieberhaft, in welcher Kartei er ihr begegnet war. »Sie arbeiten mit jugendlichen Straftätern, richtig?«
Priest lächelte, eine Mischung aus Schüchternheit und Stolz. »Meine Eintrittskarte in die Ruhmeshalle – Die Sci-Fi-Cowboys.«
»Das ist ein tolles Programm.« Mitch bot Priest den freien Stuhl an
und ging wieder hinter seinen Schreibtisch. »Sie sollten stolz darauf sein. Die Kinder vom falschen Weg abbringen und ihnen die Chance auf eine Ausbildung und eine Zukunft zu geben, ist mehr als lobenswert.«
»Ich danke Ihnen, aber das ist nicht allein mein Verdienst. Phil Pickard und Garrett Wright opfern auch viel Zeit für die Jugendlichen.«
Er machte es sich im Stuhl bequem, und seine übergroße Jacke rutschte bis zu den Ohrläppchen hoch, so daß er aussah wie eine Cartoonschildkröte, die gerade ihren Kopf in den Panzer ziehen wollte.
»Ich hab von Josh Kirkwood gehört. Hannah und Paul tun mir so entsetzlich leid.«
»Kennen Sie ihn?« fragte Megan.
»Wir sind mehr oder weniger Nachbarn. Ihr Haus ist das letzte am Lakeshore Drive. Meins liegt sozusagen hinter ihrem, etwa eine Meile oder so Richtung Norden, auf der anderen Seite vom Quarry Hills Park. Natürlich kenne ich Hannah. Jeder in der Stadt kennt sie. Wir sind beide in mehreren Wohltätigkeitskomitees. Gibt es schon irgendwelche Neuigkeiten?«
Mitch schüttelte den Kopf. »Sie dachten, Sie könnten helfen – wie denn?«
»Ich habe gehört, daß Sie einen Kommandoposten eingerichtet haben. Dort laufen die Informationen zusammen und werden abgeklärt, richtig?«
»Ja.«
»Also. Ich habe damals alle Zeitungsbericht über die Entführung des Mädchens in Inver Grove Heights gelesen. Die Polizei hat davon gesprochen, was für Massen von Informationen sie zu bewältigen hatten und wie problematisch das wäre. Dinge wurden übersehen, einige Arbeitsgänge aus Mangel an Kommunikation mehrmals wiederholt, und es wäre so zeitaufreibend, Vergleiche anzustellen.«
»Dazu ein Amen«, sagte Megan und wedelte mit ihrem Stapel Computerausdrucken von Straftäterlisten.
»Ich würde Ihnen gerne eine Lösung für dieses Problem anbieten«, sagte Priest. »Meiner Fakultät stehen reichlich PCs zur Verfügung. Momentan sind Winterferien, also habe ich nur wenige Studenten auf Abruf; aber ich kenne die, die noch in der Stadt sind und sehr gerne mitmachten. Wir können alles, was Sie wollen, in unsere Computer eingeben, Ihnen die Möglichkeit verschaffen, spezifische Informationen abzurufen, zu vergleichen, was immer Sie brauchen. Wir
können auch Joshs Foto über Scanner speichern und es über elektronische Schwarze Bretter quer durch die Vereinigten Staaten und Kanada schicken. Es wäre eine gute Übung für meine Studenten und würde euch einen Haufen Kopfweh ersparen.«
Mitch lehnte sich zurück und drehte nachdenklich
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