Sündenfall: Roman (German Edition)
verblendetes Gebiss, das genau denselben Ton hatte wie sein cremefarbenes, fein gewebtes Hemd. Kershaw brannte so sehr darauf, den Inhalt des Umschlags in die Hände zu bekommen, dass sie dem Anwalt nur mit halbem Ohr zuhörte. Allerdings verstand sie das Wesentliche sehr wohl: Mr Treneman möchte sich aufrichtig bei Ihnen entschuldigen … geistiger Aussetzer … verständliche Angst vor Erpressung … und so weiter und so fort.
»Ihnen brauche ich ja nicht zu erklären, wie ernst die Kriminalpolizei eine Verabredung zur Behinderung der Justiz nimmt«, sagte Kershaw. »Ich bin zwar keine Juristin, doch wenn ich mich recht entsinne, gibt es keine Höchststrafe – es liegt ganz im Ermessen des Richters.«
Dearbourne lächelte sie strahlend an. »Ich bin sicher, jeder Richter würde berücksichtigen, dass mein Mandant voll und ganz zur Kooperation mit der Polizei bereit war, sobald ihm die Bedeutung der Ermittlungen klar wurde.« Er verschränkte die Hände ineinander. »Wir hoffen aufrichtig, Detective Constable, dass Sie nun, da Mr Treneman den Behörden die fraglichen Gegenstände ausgehändigt hat, möglicherweise bereit sind, in Hinblick auf die … äh … peinliche Lage, in die ihn die Bänder bringen könnten, ein wenig Nachsicht walten zu lassen.«
Ja, ich kann mir seine Lage schon vorstellen, dachte Kershaw – das wäre mir letztens nachts auch beinahe passiert.
Plötzlich widerten sie Dearbournes schmieriger Charme und seine Uhr von Patek Philippe an, die sicher so viel gekostet hatte, wie sie im Jahr verdiente. Der alte Mistkerl würde absahnen, ganz gleich, ob Treneman hinter schwedischen Gardinen landete oder nicht. Sie streckte die Hände nach dem Umschlag aus.
»Sie sollten Ihrem Mandanten empfehlen, wegen einer dringenden persönlichen Angelegenheit Urlaub zu nehmen, solange die Ermittlungen laufen«, meinte sie, stand auf und sah Dearbourne an. »Es mag ja abgedroschen klingen, aber falls Mr Treneman in irgendeiner Form Kontakt zu dem Zeugen Alex Hurley aufnimmt, wird er sich noch mehr Schwierigkeiten einhandeln, als er sowieso schon hat.«
Die Produzenten von Pornofilmen würden wegen dieses Streifens bestimmt keine schlaflosen Nächte haben, dachte Kershaw – denn abgesehen von der miserablen Bildqualität waren die Handlung dürftig und die schauspielerische Leistung unter aller Sohle.
Laut Zeitkennung der Bandaufnahme war ein Mann mit Bauchansatz und schütterem Haar, Treneman , um 23:38 mit einer zierlichen Blondine im hautengen Leopardenkleid, nicht identifizierte Sexarbeiterin , in den nördlichen Lift gestiegen. Er hatte sich an die rückwärtige Wand gelehnt, sie sich an die Seite gestellt, beide, ohne aufeinander zu achten. Doch sobald der Aufzug sich in Bewegung setzte, drückte Treneman auf einen Knopf und hielt ihn wieder an. Das Mädchen drehte sich um, fiel ohne große Umstände auf die Knie, öffnete seine Hose und begann, ihm einen zu blasen. Ach, herrje! Gleichzeitig fasziniert und angewidert, betrachtete Kershaw den wippenden Blondschopf und das verzerrte Gesicht von Treneman, der sich mit einer Hand an der Aufzugkabine abstützte.
Laut Alex war es allgemein bekannt, dass Treneman es im Austausch für kostenlose Zuwendungen duldete, wenn Prostituierte in der Hotelbar ihre Geschäfte anbahnten. Dennoch verstand Kershaw nicht, warum der Geschäftsführer eines Fünfsternehotels das unkalkulierbare Risiko einging, im Lift Oralsex zu haben. Der Rat »nehmt euch ein Zimmer« war ihr noch nie passender erschienen. Derek und Milo mochten keine Kirchenlichter sein, doch auch sie hätten zufällig auf ihren Bildschirmen zuschauen können – so wie jeder andere, der sich gerade in der Sicherheitszentrale aufhielt. Als Treneman zum Höhepunkt kam, blickte er genau in die Kamera, und Kershaw wurde klar, dass die Gefahr, erwischt zu werden, für ihn ein wichtiger Teil des Nervenkitzels war.
Kershaw spulte sich durch den Rest der Aufnahmen aus dem nördlichen Aufzug. Als die Zeitkennung bei 1:10, also kurz nachdem der Mann mit dem Hut eingecheckt hatte, angelangt war, drückte sie auf PLAY . Sie spürte, dass der Puls an ihrer Kehle zu pochen begann. Was, wenn er, nach allen Registern, die sie gezogen hatte, um an die Bänder zu kommen, Kozlowska über die Hintertreppe nach oben geschmuggelt hatte?
Die ersten Personen im Lift waren die angetrunkenen Büroleute, die sie schon von den Aufnahmen aus der Hotelhalle kannte. Eine Sekunde später streckte einer der Männer die Hand aus,
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