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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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wurden als »Zielpersonen« bezeichnet. Neben den üblichen Telefon-Abhöraktionen stammten die meisten Informationen über die ahnungslosen Opfer offenbar von Menschen, die als TW , gefolgt von einem Codenamen, aufgeführt wurden. Janusz verzweifelte fast bei dem Versuch, diese geheimnisvollen und dennoch vertrauten Initialen zu entschlüsseln, bis sein nicht mehr ganz junges Gedächtnis endlich Gnade mit ihm hatte und die Antwort herausrückte. Damals, als alle Medien über die gerade geöffneten Geheimakten berichteten, hatte er gelesen, dass TW für Tajny Wsp ół pracownik stand – »geheimer Kollaborateur«. Dabei handelte es sich um ganz normale Menschen, die – entweder mit Bestechungsgeldern oder Drohungen – als Spitzel angeworben wurden, als freiberufliche Spione, die sich unter ihren polnischen Landsleuten bewegen konnten, ohne Verdacht zu erregen.
    Anscheinend bezogen sich alle Dokumente auf ein und denselben Informanten der SB , der 1981 rekrutiert worden war und nur TW Sroka genannt wurde – geheimer Kollaborateur »Elster«. Leutnant Witold Struk war sein Kontaktoffizier gewesen. Soweit Janusz es den Unterlagen entnehmen konnte, hatte Elster regelmäßig ebenso wichtige Informationen über die prodemokratischen Aktivisten und ihre heimlichen Treffen, geplante Streiks und Mahnwachen geliefert wie auch über ihre außerehelichen Affären, Trinkgewohnheiten und Glücksspielprobleme.
    Offenbar übte Elster eine Tätigkeit aus, die ihn häufig in Kontakt mit den Dissidenten bei Solidarność und in der Kirche brachte. Allerdings konnte Janusz keinen Hinweis auf seine Identität oder seine Funktion entdecken. Der Spitzel hätte jeder x-Beliebige sein können – ein Strichjunge, ein Priester, ein Klavierstimmer … die SB hatte bei der Einstellung niemanden diskriminiert. Auch Elsters Zielpersonen wurden nur mit Decknamen wie »Jäger« oder »Rotschopf« benannt, was eindeutig auf persönliche Eigenschaften hinwies, während »Schneider« und »Schiefertafel« vermutlich Anspielungen auf den Beruf des Opfers waren.
    Zu einem von Elsters Opfern, einer Zielperson namens Papie ż ek , gab es mehr Einträge als zu allen übrigen zusammen. Seine Daten enthielten stets Querverweise auf andere Akten, und einige Protokolle vermerkten, Struk habe wiederholt gefordert, dass Elster detaillierteres Wissen über die Aktivitäten von Zielperson Papie ż ek zutage förderte. Offenbar war er ein Mensch mit guten Beziehungen, doch wieder konnte Janusz nicht feststellen, um wen es sich in Wahrheit handelte. Papie ż ek konnte ein Familienname sein, obwohl das höchst unwahrscheinlich war. Der Name ließ sich auch als »kleiner Papst« lesen; also war er vielleicht ein Priester oder möglicherweise auch ein Gewerkschaftsführer oder Intellektueller, der gerne lange Reden hielt – dann wäre der Deckname eine spöttische Anspielung auf seine »Gardinenpredigten« gewesen.
    Gegen Ende der Akte stieß Janusz auf einige Eintragungen, die im Mai 1985 begannen. Sie behandelten Struks wöchentliche Treffen mit Elster und die Übergabe der »wyp ł ata« – der »Lohntüte«. Die SB zahlte ihren Informanten häufig einen Bonus, meist in einer Fremdwährung, um sie für die Gefahr, in die sie sich begaben, zu entschädigen und sie gleichzeitig in finanzieller Abhängigkeit zu halten. Allerdings schien Struk die Rolle des Zahlmeisters als unter seiner Würde betrachtet zu haben. »Leutnant Struk sucht wieder einmal darum an, die Übergabe der Lohntüte an TW Elster einem untergeordneten Offizier zu übertragen« , war der typische Wortlaut eines Eintrages.
    Weitere Notizen ähnlichen Inhalts folgten. Dann, am 19. August, nahm die Geschichte, wie Janusz feststellte, eine neue Wendung. »Leutnant Struk wünscht mit allem Respekt die Empfehlung abzugeben, dass die Behörde angesichts von Elsters charakterlichen Eigenschaften und seiner unsozialistischen Einstellung in Erwägung ziehen sollte, die Zahlungen an ihn einzustellen und die Beziehungen mit ihm zu beenden.«
    Offenbar hatte Leutnant Struk einen solchen Groll gegen Elster gehegt, dass er bereit gewesen war, seine eigene Position zu gefährden, nur um ihm zu schaden. Vielleicht hatte er ihm ja sogar diesen Decknamen gegeben – nach dem gierigen Vogel, der dem Volksmund nach alles stiehlt, was glänzt.
    Der letzte Akt des Dramas wurde am 11. September 1985 gespielt. Der Eintrag lautete nur: »Leutnant Struk wird von jetzt an seine Pflichten als Kontaktoffizier niederlegen

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