Sündenfall: Roman (German Edition)
Körper hinter die Boje, um sie aus der Schusslinie zu bringen. Doch als er wieder aufblickte, bot sich ihm ein eigenartiges Bild. Radomil beugte sich vor, um am Lauf seiner Pistole entlangzuspähen und wieder abzudrücken – aber er war nicht mehr allein auf der Galerie. Ein Zwerg in einem schwarzen Umhang mit Kapuze war neben ihm aufgetaucht. Während Janusz noch hinstarrte, hob die Gestalt ein silbriges Rechteck hoch in die Luft und ließ es auf Radomils Kopf niedersausen. Der Mistkerl sackte in sich zusammen wie ein kaputter Liegestuhl.
Janusz griff nach dem dicken Nylontau, das an der Boje befestigt war, und wickelte es um seinen Körper, um sich über Wasser zu halten. Dann drehte er Nika mit dem Rücken zu sich, umfasste ihr Kinn, damit ihr Gesicht nicht untertauchte, und benutzte seine Arme als Blasebalg, um das Wasser aus ihren Lungen zu rücken. Hau-ruck . Er konnte ihr Gesicht nicht sehen und spürte auch keine Lebenszeichen. Hau-ruck . Ohne in seinen Bemühungen innezuhalten, spähte er um sie herum und betrachtete ihr Profil. Ein dünnes Rinnsal tropfte zwischen ihren Lippen hervor und versiegte wieder. Sie blieb so reglos und wunderschön wie die Statue auf einem Grab. Nein, heilige Muttergottes, nein . Er drehte sie wieder herum, hielt ihr die Nase zu, presste seine Lippen auf ihre und pustete sanft. Dabei rief er sich den Erstehilfekurs ins Gedächtnis, den Oskar und er damals als Straßenbauarbeiter hatten absolvieren müssen. Ein Elefant, zwei Elefant, drei Elefant . Pause. Ein Elefant, zwei Elefant, drei Elefant . Pause. Nichts . Wieder drückte er die Lippen an ihre, doch er wurde zunehmend von einem lähmenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit ergriffen. Doch plötzlich schoss ihm ein Schwall nach Kupfer schmeckendes Wasser in den Mund. Darauf folgte ein heftiger Hustenanfall. Als er Weronika ansah und ihren Kopf über Wasser hielt, während sie von Hustenkrämpfen geschüttelt wurde, schlug sie endlich die Augen auf. Sie waren blau, durchsetzt mit grauen Pünktchen, die die Farbe von Kieseln an einem Ostseestrand hatten. Kurz trafen sich ihre Blicke. Dann fielen ihr die Augen wieder zu.
»Kiszka!« Im ersten Moment glaubte er, er habe sich die Stimme, die seinen Namen rief, nur eingebildet. Doch im nächsten Moment erklang sie wieder. »Kiszka!« Langsam schob er sich um die Boje herum. Inzwischen hatte der Zwerg die Kapuze abgenommen, und Janusz stellte fest, dass er den blonden Haarschopf der kleinen Detektivin hatte. Er fragte sich nicht, warum sie hier war, er war nur erleichtert, als er sah, wie sie in ihr Funkgerät sprach.
DREISSIG
D as Schnellboot der Wasserschutzpolizei brauchte nur elf Minuten, um Janusz und die halb bewusstlose Weronika zur London Bridge zu bringen, wo Sanitäter des einen Katzensprung entfernten Guy’s Hospital sie bereits erwarteten.
Weronika wurde durch die Notaufnahme in einen Aufwachraum geschoben. Während die Schwestern sie an Monitore anschlossen und ihr ein elektronisches Thermometer in die Achselhöhle schoben, winkte der Arzt Janusz, der vor der offenen Tür wartete, zu sich heran. Als er auf Krücken hinüberhinkte, kam er sich so unbeholfen vor wie eine Pferdemarionette.
»Die Polizei geht davon aus, dass sie eine Überdosis einer Ecstasy-Variante intus hat«, begann der Arzt und beobachtete dabei den Monitor an der Wand, der mit dem Thermometer verbunden war.
»Ja, man nennt sie PMA «, erwiderte Janusz.
Der Doktor beugte sich vor und riss die Wärmedecke weg, in die Weronika eingewickelt gewesen war. »Drogeninduzierte Hyperthermie«, teilte er einer der Schwestern, gefolgt von einem Schwall unverständlichem medizinischen Fachchinesisch, mit. »Eiswasserbäder« und »starke Flüssigkeitszufuhr« waren die einzigen Wörter, die Janusz etwas sagten.
»Sie hat fast vierzig Grad Körpertemperatur«, erklärte er Janusz und musterte ihn, um festzustellen, ob er wusste, was das bedeutete.
Das tat er.
»Wir können nichts weiter unternehmen, als ihre Temperatur zu senken und ihren Blutdruck zu stabilisieren. Wenn es uns gelingt, ein Nierenversagen zu verhindern, hat sie gute Chancen.«
Janusz lehnte sich an die Wand. Die Vorstellung, dass sie jetzt vielleicht doch noch sterben würde, war mehr, als er ertragen konnte.
»Wissen Sie was?«, meinte der Arzt in einem Versuch, ihn aufzumuntern. »Wenn sie nicht im eiskalten Wasser gelegen hätte, könnten wir ihr vermutlich gar nicht mehr helfen.«
Nachdem Janusz noch eine Stunde in der Notaufnahme
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