Sündenfall: Roman (German Edition)
sie zögernd. »Aber nicht jetzt. Was hat mir Kattowitz zu bieten? Ich würde etwa halb so viel verdienen wie hier – jahrelang müsste ich sparen, nur um mir einen fünf Jahre alten Polski Fiat leisten zu können.«
Ihre Stimme klang nicht zornig, sondern einfach nur sachlich.
»Hier kann ich, sobald ich Englisch gelernt habe, einen Job bei Marks & Spencer kriegen, gutes Geld verdienen und in Teilzeit am College studieren.«
»Welches Fach denn?«
Ihre Augen leuchteten auf, und ihr Gesicht wirkte zum ersten Mal lebendig. »Ich will Physiotherapeutin oder vielleicht Chiropraktikerin werden. Ich bin noch nicht sicher.«
Janusz kannte Kattowitz, unter den Sowjets ein Zentrum der Schwerindustrie. Inzwischen waren die meisten Wohnviertel mehr oder weniger verlassene, triste Bezirke, bevölkert von Alten, Kranken und denen, die entweder nicht die Möglichkeit oder den Mut hatten zu gehen. Der bloße Gedanke, dort leben zu müssen, ließ ihn erschaudern. Vielleicht hatte seine Generation ja doch Glück gehabt – wenigstens hatte der Kampf gegen die Kommies ihnen ein gemeinsames Ziel gegeben.
»Zamorski ist in Ordnung«, versicherte er ihr. »Wenn jemand dem Land wieder auf die Beine helfen kann, dann er.«
»Politiker sind doch alle gleich.« Ihr Tonfall war zwar höflich, aber nachdrücklich. »Sie und Ihre Freunde haben Wałęsa für einen Superhelden gehalten, richtig?«
Janusz musste zugeben, dass sie recht hatte. Er hatte Wałęsa früher vergöttert, nur um entsetzt und ungläubig mit ansehen zu müssen, wie der Chef von Solidarność einige der brillantesten Denker der Revolution verdrängt und sich mit Jasagern umgeben hatte, sobald er Polens erster gewählter Präsident geworden war.
Zamorski kam wie Wałęsa aus der Solidarność -Bewegung; allerdings fehlten ihm dessen demagogische Neigungen. Außerdem hatte er einen beeindruckenden politischen Balanceakt hingelegt, indem er zwar auf die grundsätzlich konservative Haltung der Polen gesetzt und dennoch den Versuchungen des radikalen Nationalismus widerstanden hatte. Doch die Nacht damit zu verbringen, mit der selbstbewussten Justyna über Politik zu diskutieren, würde ihn seinem Ziel, das vermisste Mädchen zu finden, keinen Schritt näher bringen, dachte Janusz. Doch er ahnte, dass er taktvoll zu Werke gehen musste. Wenn er sie einfach geradeheraus fragte, wo Weronika war, würde er wahrscheinlich nichts von ihr erfahren.
»Waren Sie manchmal mit Weronika hier?«, erkundigte er sich und trank einen Schluck Bier.
»Ja, manchmal.«
»Hat sie hier Pawel kennengelernt?«
Sie runzelte leicht die Stirn, fragte aber nicht, woher er von Weronikas heimlichem Freund wusste.
»Nein, er kam eines Tages ins Restaurant und hat sie angesprochen, als sie ihm pierogi serviert hat.«
»Wissen Sie noch, wann das war?«
»Ja! Am 13. Februar. Ich erinnere mich, weil meine Mama Katarzyna heißt und das ihr Namenstag ist«, erwiderte sie mit einem schüchternen Lächeln. »Danach kreuzte er jeden Tag auf, schmeichelte ihr, machte ihr kleine Geschenke – czekoladki , Parfüm –, bis sie irgendwann einverstanden war, mit ihm auszugehen.« Ihr Tonfall wurde abfällig, als sie über Adamski sprach.
»Sie mögen ihn nicht.«
»Er ist ein mieser Typ«, antwortete Justyna mit einem nachdrücklichen Nicken. »Nika ist erst neunzehn« – sie benutzte die liebevolle Abkürzung für Weronika – »und er dreißig , viel zu alt für sie.«
Janusz schwieg und ließ sie reden. »Ständig war er betrunken«, fuhr sie nach einer Pause fort, »und dann ist er ausgerastet. Einmal waren wir zu dritt in einem Pub, da hat er ein Glas gegen den Fernseher geworfen, nur weil sie was über die Wahl gebracht haben!« Ihre Augen weiteten sich, als sie sich erinnerte. »Aber meistens waren wir hier – bis er Hausverbot gekriegt hat.Er hat behauptet, der Grund sei eine Meinungsverschiedenheit mit einem Türsteher.« Ein zweifelndes Achselzucken. »Aber wer weiß? Der hat immer gelogen wie gedruckt.«
Da die Abneigung des Mädchens gegen Adamski über ihre Vorsicht zu siegen schien, beschloss Janusz, den Advocatus Diaboli zu spielen.
»Viele polnische Männer trinken«, meinte er mit einem Grinsen. »Waren Sie vielleicht ein bisschen eifersüchtig auf Ihre Freundin? Vielleicht waren Sie ja selbst an Pawel interessiert?«
»Auf gar keinen Fall!«, entgegnete sie. Als sie rot anlief, wirkte ihre dunkle Haut noch frischer, was sie, wie ihm auffiel, umso hübscher machte. »Anfangs habe
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