Sündenfall: Roman (German Edition)
eines Motorrads nachahmte. Janusz rieb sich den pochenden Schädel. Oskar hatte zu den Ersten gehört, die sich den Klingelton »Crazy Frog« ins Mobiltelefon einprogrammiert hatten, und würde ihn vermutlich erst wechseln, wenn noch etwas Nervenzerfetzenderes auf den Markt kam – was ziemlich unwahrscheinlich war.
»Cze ść …« , meldete sich Oskar. »Nein. Wir sind noch nicht einmal in Dover … wir müssten morgen Abend so gegen sechs in Elbl ą g sein, wie ich schon gesagt habe. Ja, in Ordnung.« Seufzend beendete Oskar das Telefonat. »Der Typ von Oleks Firma, der mir den Auftrag gegeben hat. Ein schrecklicher Schwarzmaler.«
Eine gute Stunde später – Janusz und Oskar ordneten sich gerade in die Fahrspur vor dem Zoll am Fährenanleger in Harwich ein – stellte Kershaw ihren Ford Ka in Lambeth, ein Stück südlich vom Fluss, am Straßenrand ab. Sie schloss das Auto ab und blickte sich um. Dieser hässliche Betonklotz aus den Siebzigern musste es sein, dachte sie. Und als sie näher herankam, konnte sie tatsächlich die Wörter Cavendish College in großen Buchstaben aus Stahl an der grauen Wand des Gebäudes erkennen.
Kershaw hielt diesen Ausflug für reine Zeitverschwendung. Es war doch wohl kaum anzunehmen, dass ihre Wasserleiche mit Überdosis an einem College für katholische Theologie studiert hatte. Ach, herrje! Doch Bacon hatte darauf bestanden, dass sie der Sache nachging, gefolgt von dem altbekannten Vortrag zu dem Thema, man dürfe nichts unversucht lassen. Also hatte sie sich im dichten Verkehr durch die ganze Stadt bis auf die falsche Seite des Flusses gequält. Allerdings hatte sie die Fahrt um mindestens eine halbe Stunde abgekürzt, indem sie die wenig bekannte Strecke über die Southwark Bridge genommen hatte. Ihr Dad hatte sie ihr gezeigt, als sie gerade das Fahren gelernt hatte – ein Geheimnis, das in der Familie Kershaw von Generation zu Generation weitergegeben werde, hatte er, nur halb im Scherz, zu ihr gemeint.
Sie hatte sich mit Timothy Lethbridge in der Mensa verabredet, und während blassgelber Tee aus dem Getränkeautomaten in ihren Plastikbecher tröpfelte, hielt sie Ausschau nach dem wahrscheinlichsten Kandidaten. Keiner hier sah aus, wie Studenten sonst so auszusehen pflegten: Anstelle der üblichen kaum den Po bedeckenden Röcke, der Tattoos und der Piercings herrschten hier Strickpullis vor, und es schien eine Bartepidemie ausgebrochen zu sein. Sie entdeckte sogar einen Typen, der Birkenstocks mit Socken trug. Die Stimmung war entspannt, und alle unterhielten sich freundlich lächelnd, ein himmelweiter Unterschied zu dem schrillen Stimmengewirr, an das sie sich aus der Mensa ihrer eigenen Universität erinnerte.
Als sie sich auf die Suche nach dem Zucker machte, bemerkte sie einen blonden Mann ganz in ihrer Nähe. Er war Mitte zwanzig, trug Jeans und ein hellblaues Hemd von Ben Sherman und hatte eine tornisterähnliche Tasche bei sich. Der Mann sah sie an. » DC Kershaw, wie ich annehme?«, fragte er. Er hatte einen leichten Akzent – vielleicht Nordengland. Der Mann stellte sich als Timothy Lethbridge vor und hielt ihr die Hand hin. Im ersten Moment starrte sie einfach noch darauf, denn solche Höflichkeiten der alten Schule gehörten einfach nicht zum Alltag eines Polizisten im East End. Sein Händedruck war so schlaff wie ein benutztes Geschirrtuch.
Nachdem sie sich einen freien Tisch gesucht hatten, zog sie ihr Notizbuch heraus. Sie wollte sofort auf den Punkt kommen, um die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen und ins Revier zurückkehren zu können.
»Sie haben sich also gestern mit der Vermisstenabteilung in Verbindung gesetzt?« Er nickte.
»Und wie lange war Ela … Wronksa da schon verschwunden?« Sie blickte ihn an und wartete darauf, dass er den Namen bestätigte.
»Man spricht es Vronska aus«, erwiderte er und lächelte, um der Kritik die Schärfe zu nehmen. »Hier war sie als Elzbieta bekannt, obwohl man das sicher zu Ela abkürzen kann.« Sein verlegenes Lächeln, das blasse, herzförmige Gesicht und das halblange blonde Haar gaben ihm etwas Androgynes.
Er nahm ein iPhone aus der Tasche und tippte auf den Bildschirm. »Das letzte Mal habe ich Elzbieta hier in der Mensa gesehen, und zwar am 13. März.« Er zeigte ihr seinen Kalender. »Das weiß ich noch, weil ich ihr von einer tollen Gastvorlesung erzählt habe, die ich gerade gehört hatte.«
Er drehte das Telefon in den Händen hin und her. Die helle Haut seiner Augenpartie
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