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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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Mörder ihr Kiszkas Karte in den Mund gesteckt – um seinen Widersacher zu belasten oder ihn zu verhöhnen.
    Nach dem Besuch in Kasias Club ging Janusz auf direktem Wege in ein Internetcafé, in dem er manchmal verkehrte. Es befand sich im St. Anne’s Court, einer winzigen georgianischen Seitengasse, die von der Wardour Street abzweigte. Kris, der bulgarische Inhaber, warf einen Blick auf Janusz’ Gesicht, verschwand im Hinterzimmer und kehrte kurz darauf mit einem Zitronentee zurück, den er neben Janusz’ Computer stellte und mit einem freundlichen Nicken hinzufügte, der sei auf Kosten des Hauses.
    Zu Janusz’ Erstaunen wurde Nowak in Wikipedia erwähnt, und zwar auf einer Seite, die sich mit polnischen Industriellen befasste. Es gab sogar ein Foto von ihm, aufgenommen vor etwa zehn Jahren. Er hatte schütteres Haar, war noch nicht kahl rasiert, trug ein Hemd ohne Sakko und schien vor Tatendrang zu strotzen. Laut Biografie war er 1945 geboren – in demselben Jahr, in dem sein Vater wie Tausende sogenannte Feinde des Sozialismus im Rahmen einer Säuberungsaktion im poststalinistischen Polen in ein sowjetisches Straflager verschleppt worden war. Sein einziges Verbrechen war gewesen, dass er während der Invasion Seite an Seite mit britischen und amerikanischen Soldaten gekämpft hatte. Fünf Jahre später war er dann gestorben – angeblich an Tbc. In dem Text hieß es weiter, Nowak sei sechzehn Jahre lang Vertreter von Solidarno ść im Stahlwerk Wladimir Lenin in Nowa Huta gewesen. Später habe er in der Baubranche Erfolg gehabt und 1989, zwei Jahre nach dem Fall des kommunistischen Regimes, Nowak Budowa gegründet. Er hatte nicht schlecht verdient und das Unternehmen 2003 für zwei Millionen Zloty, also eine knappe halbe Million Pfund, verkauft.
    Allerdings war es eher Nowaks spätere Tätigkeit, der er den Eintrag in Wikipedia verdankte. Das »bisschen wohltätige Engagement« war eindeutig eine Vollzeitbeschäftigung, denn er war Gründer oder Unterstützer von sechs gemeinnützigen Organisationen, die sich hauptsächlich mit Sozialwohnungsbau und Stadtentwicklung beschäftigten. Es war auch ein Zitat von Nowak abgedruckt, aus einem Artikel der Gazeta Wyborcza vom März 2007. »Die ältere Generation kann die Jugend noch so sehr anflehen, nach Hause zu kommen und beim Aufbau des Landes zu helfen, doch das sind nur leere Worte, solange wir ihr keine gut bezahlten Arbeitsplätze und anständigen Wohnungen garantieren können.«
    Von Edward Zamorski gab es – natürlich – eine detailliertere Biografie sowie eine ganze Fotogalerie, die seine dreißig Jahre in der Politik umfasste. Da war zum Beispiel eine Schwarzweißaufnahme aus den Achtzigern, die einen jungen Zamorski mit Schnurrbart und Arbeitsjacke in der ersten Reihe einer Demonstration zeigte. Er hatte den rechten Arm erhoben, um die heranstürmenden behelmten ZOMO s abzuwehren. Hinter ihm duckte sich ein junger, gedrungener Priester unter einem offenbar gerade auf seinen Kopf niedersausenden weißen Gummiknüppel weg.
    Janusz erkannte den Priester, den Zamorski hatte beschützen wollen, auf Anhieb. Marek Kuba .
    Kuba, der beim Höhepunkt der Revolte erst sechsundzwanzig, also kaum älter als Janusz, gewesen war, hatte das kommunistische Regime von der Kanzel des Doms zu Oliva in Danzig scharf kritisiert. Sein Mut machte ihn zu einer beliebten Führungspersönlichkeit im Kampf für die Demokratie. Das heißt, bis zum Mai 1986, als die skurwysyny von der Geheimpolizei beschlossen, an dem aufmüpfigen Priester ein Exempel zu statuieren. Sie entführten den jungen Kuba, folterten ihn und brachten ihn um. Seine verstümmelte Leiche wurde in einen der Flüsse geworfen, die durch die Kaschubische Seenplatte verliefen. Doch anstatt sich einschüchtern zu lassen, hatten die Menschen, wie Janusz sich erinnerte, auf den Mord an Kuba mit einem landesweiten Aufstand reagiert, der das Ende des Regimes einläuten sollte.
    Das letzte Foto von Zamorski, das Janusz von den Wahlkampfplakaten kannte, zeigte einen beleibten Mann Ende fünfzig, der einen seriösen Anzug trug und gütige, aber ernst dreinblickende hellblaue Augen hatte – ein himmelweiter Unterschied zu dem leidenschaftlichen jungen Aktivisten, der angeblich so umwerfend auf Frauen gewirkt hatte. Der ältere Zamorski wirkte eher wie ein Banker, der keine dunkleren Geheimnisse hatte als eine Schwäche für Pflaumen mit Schokoüberzug.
    Als Janusz sich näher zum Bildschirm vorbeugte, konnte er gerade

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