Sündenfall: Roman (German Edition)
einen Korb geholt.«
»Ja, aber er hat es ziemlich schnell gebeichtet.«
»Klingt für mich noch immer nach dem besten Motiv«, entgegnete Bacon. »Falls bei ihrem Tod überhaupt Fremdverschulden vorliegt.« Er nahm sein angebissenes Wurstbrot vom Schreibtisch und wischte mit dem angefeuchteten Finger den Klecks brauner Sauce von dem Haftbefehl, den er als Teller benutzt hatte.
Kershaw hielt den Atem an.
»Also gut«, sagte Bacon. »Schicken Sie die Jungs von der Spurensicherung hin, damit sie das Zimmer unter die Lupe nehmen. Ich hatte diesen Monat schon zwei Anschisse, weil ich das Budget überzogen habe, und aller guten Dinge sind drei.«
»Wunderbar. Danke, Sergeant.«
»Und jetzt hauen Sie ab, bevor ich vielleicht noch eine Grasplantage für Ihre Sammlung finde.«
ACHTZEHN
A ls Janusz den Kerl mit dem Hut zum ersten Mal bemerkte, genehmigten er und Oskar sich gerade zwei Teller sauren Ostseehering an Bord eines alten Fischerbootes, das im Hafen von Danzig ankerte.
Das Boot war mit einigen improvisierten Tischen und Bänken in ein schwimmendes Restaurant verwandelt worden. In Janusz’ Kindheit hatten sich am Kai Fischerboote wie dieses gedrängt, ihre Taue ein Labyrinth aus Fußangeln, das offenbar nur dazu gedacht war, kleinen Jungen zur Stolperfalle zu werden. Inzwischen war dieses eine hier, das schon seit vielen Jahren keinen Fang Heringe mehr an Land gebracht hatte, der letzte Überlebende.
Anstelle von Wodka, dem klassischen Getränk zu ś ledzia , hatten sie dampfende Gläser mit Glühwein bestellt, da es hier – wie Oskar seit ihrer Ankunft schon zum hundertsten Mal jammerte – lausig kalt war. Die Temperaturen lagen, trotz des strahlenden Sonnenscheins und des klaren kobaltblauen Himmels, sicherlich fünf Grad unter denen in London.
Vom Deck des Bootes aus hatten sie den Hafen gut im Blick. Es wimmelte wegen der eisigen Temperaturen von mit Fleecejacken und Wollmützen vermummten Touristen, die meisten Polen oder Deutsche, wie Janusz aus den aufgeschnappten Gesprächsfetzen schloss. Sie machten es sich auf den Terrassen der Cafés gemütlich oder schlenderten die kopfsteingepflasterte Uferstraße entlang, um die Kaufmannshäuser der Hanse zu bewundern, deren Zuckerbäckerfassaden sich im blaugrünen Wasser des Flusses Mot ł awa spiegelten.
Janusz überlegte, was genau diesen Mann von der Masse abhob. Er ging genauso langsam wie die anderen, doch seine Körperhaltung hatte etwas Zielstrebiges, und sein Ledermantel und Hut fielen inmitten von so viel Freizeitkleidung auf. Er bewegte sich wie ein Hai in einem Schwarm von Zierkarpfen.
»Oskar«, meinte Janusz mit einer Kopfbewegung. »Lass dir nichts anmerken, aber schau dir mal den Typen mit dem Hut an, der gerade vorbeigegangen ist.« Sofort reckte Oskar den Kopf über die Bordwand, worauf Janusz ihn gegen das Schienbein trat. Als er den Zeitpunkt für gekommen hielt, sich umzudrehen, war der Mann verschwunden, vermutlich in einer der Seitenstraßen, die vom Wasser wegführten.
»Vergiss es«, sagte Janusz und trank einen Schluck heißen Glühwein. Doch er wurde das unangenehme Gefühl nicht los, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben. »Hast du auf der Fähre einen Typen mit Hut bemerkt?«
Oskar legte die Gabel weg und kniff fest die Augen zu, ein Gesichtsausdruck, der darauf hinwies, dass er angestrengt in seinem Gedächtnis kramte. »Einer der Liverpooler hatte einen rotweiß gestreiften Zylinder auf dem Kopf«, erwiderte er schließlich und spießte das letzte Stück Hering auf. Er zeigte mit der beladenen Gabel auf Janusz. »Du bist nur nervös«, stellte er fest und steckte den Fisch in den Mund. »Wegen der Abreibung, die der Kerl dir verpasst hat.«
»Kann sein«, antwortete Janusz.
Oskar kippte den restlichen grzaniec in einem Schluck hinunter, lehnte sich zurück und klopfte sich auf den Bauch. »So, mein Kleiner, was machen wir jetzt? Wenn dein Bus erst um vier fährt, haben wir noch ein paar Stunden. Obwohl ich wahrscheinlich die ganze Nacht unterwegs sein werde, wenn die Straßen östlich von hier genauso miserabel sind wie die von heute Morgen.« Janusz grunzte zustimmend. Nach den deutschen Autobahnen war es wie eine Zeitreise in die Vergangenheit gewesen, die Grenze zu überqueren – kilometerlange, von Schlaglöchern durchzogene Buckelpisten, nur hie und da unterbrochen von einem Stück zweispuriger Schnellstraße.
»Lass uns zum Postamt gehen!«, schlug Oskar mit vor Aufregung geweiteten Augen vor. Das Gebäude
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