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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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einziges außerhalb der Ferienzeit geöffnet sei –, entpuppte sich als Absteige, allerdings zugegebenermaßen mit sechzig Zloty die Übernachtung auch als ausgesprochen billig. Es war eigentlich nicht mehr als ein Restaurant für Arbeiter mit einigen angeschlossenen Zimmern und einem Gemeinschaftsbad. Die wortkarge Wirtin drückte Janusz ein Handtuch in die Hand und teilte ihm mit, das Frühstück werde zwischen sieben und acht Uhr morgens serviert. Er ging in sein Zimmer, um seine Tasche abzustellen und einen Stadtplan aus der Kommode zu holen, deren abblätternden Lack unzählige Brandlöcher zierten, bevor er sich wieder auf den Weg machte.
    Je weiter man sich vom Marktplatz entfernte, desto mehr wurden die Altbauten von den unvermeidlichen sowjetischen Wohnblocks abgelöst. Sie stammten aus den Fünfzigern, und ihr Putz bröckelte, sodass sie mit ihren löchrigen Fassaden aussahen wie Leprakranke. Janusz brauchte zehn Minuten, um das Lagerhaus Woytek zu finden, ein hundert Jahre alter hölzerner Lagerschuppen mit einem Baucontainer davor, der als Büro diente – nicht unbedingt ein Unternehmen, dem Janusz seine Familienerbstücke anvertraut hätte. Hinter einer Theke im Container saß ein Mann in einer dick wattierten Jacke und las die Lokalzeitung. Als er aufblickte, bemerkte Janusz, dass sein eines Auge nach außen schielte.
    »Dzie ń dobry, Panie« , sagte er und musterte Janusz mit dem gesunden Auge.
    Janusz erwiderte die Begrüßung mit einem Lächeln, das er sich jedoch sofort wieder verkniff. Er hatte sich in Danzig schon einige verdatterte – und argwöhnische – Blicke eingefangen, weil er Ladeninhaber und Passanten unwillkürlich angelächelt hatte, eine Angewohnheit aus England, wo ein Lächeln die kleinste und am häufigsten eingesetzte Währungseinheit im gesellschaftlichen Miteinander war.
    »Mein Geschäftspartner und ich lagern hier hin und wieder antike Möbel ein«, begann er. »Er war erst vor einigen Tagen hier, um Nachschub zu kaufen, und wir wollten uns eigentlich treffen. Aber jetzt« – er schwenkte sein Mobiltelefon – »kriege ich keine Verbindung.«
    »Vielleicht wurde seins ja gestohlen«, erwiderte der Mann und legte die Zeitung weg.
    »Genau«, entgegnete Janusz. »Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, wie ich ihn sonst kontaktieren soll.« Er zuckte die Achseln und bemühte sich um eine ratlose Miene. »Deshalb höre ich mich um, ob jemand vielleicht eine andere Nummer von ihm oder seine Adresse kennt – alles, damit ich ihn finde.«
    Der Gesichtsausdruck des Mannes wies darauf hin, dass er dem Märchen nur mit halbem Ohr lauschte. Janusz ’ Blick fiel auf den Kalender an der Wand hinter ihm. Miss April war eine vollbusige Blondine und unter ihrer dicken Schicht Make-up recht hübsch. Allerdings fand Janusz die Tiefe des Dekolletés und die mit Bräunungscreme getönten Schenkel, die ihr Cowgirl-Kostüm freigab, verglichen mit britischen Standards rührend züchtig.
    »Sein Name ist Pawel Adamski«, versuchte Janusz sein Glück und sah den Mann wieder an.
    Dieser schüttelte den Kopf und starrte, sehr verdächtig, auf einen Punkt irgendwo oberhalb von Janusz’ Schulter. »Tut mir leid, nie von ihm gehört«, erwiderte er. »Wissen Sie, ich bin neu hier, und der Boss ist diese Woche in Budapest.«
    »Haben Sie vielleicht etwas in den Akten, das mir helfen könnte, ihn zu finden?« Janusz schauderte es in seinem Mantel. Hier drin waren es höchstens zehn Grad.
    Der Mann neigte bedauernd den Kopf zur Seite. »Leider, Panie , dürfen wir keine Kundendaten weitergeben.« Allerdings lag ein berechnender Ausdruck in seinem gesunden Auge. Offenbar wollte er kein Unmensch sein.
    Einige Minuten später und fünfzig Zloty ärmer trat Janusz aus dem Baucontainer. Als er um die Ecke war, nahm er mit vor banger Erwartung klopfendem Herzen die Fotokopie von Pawel Adamskis einziger Rechnung aus der Tasche.
    Das Lagerhaus Woytek hatte am 1. Februar einen Container voller Waren erhalten, der am 16. Februar von einer Spedition abgeholt worden war. Die Rechnungsadresse war die des gemieteten Hauses in Willowbridge, doch es stand nur Adamskis Name darauf, keine Telefonnummer, keine Kreditkartendaten und auch keine Kontaktdaten in Polen.
    Janusz schlug mit der flachen Hand an die Wand. Kurwa mac! Zugegeben, es war ein Vabanquespiel gewesen, fünfzehnhundert Kilometer weit nach Gorodnik zu fahren. Und dennoch hatte er sich eingeredet, dass er im Lagerhaus einen weiteren Hinweis finden

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