Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
glaube, ich sollte noch einmal mit den Stookes reden, bevor ich zu Shirley gehe. Was wohl heißt, dass ich das heute Abend noch mache.»
Das konnte eine
lange
Nacht werden.
41 Wesen der Finsternis
Es war unglaublich warm bei den Stookes. Eine Wärme wie in der Eingangsluftschleuse eines Kaufhauses, bei der man fast ohnmächtig wurde.
«Kaffee?», fragte Stooke.
«Ja, bitte.»
Merrily registrierte, dass ihre Stimme zitterte. Sie war nervös.
Sie ging vor ihm zu einem enormen Kamin, in den ein gusseiserner Holzofen eingebaut war. In dem Raum war es so hell, dass Merrily blinzeln musste.
Was hatte sie erwartet? Kälte, Finsternis, ein Gefühl der
Leere
?
Aber ganz bestimmt keine Nervosität. Vielleicht hätte sie um Beistand beten sollen, bevor sie aus dem Auto gestiegen war.
Vielleicht benahm sie sich aber auch einfach nur lächerlich.
«Lenni wäscht sich die Haare. Sie kommt gleich herunter.»
«Es tut mir leid, ich wollte anrufen, aber …»
«Oh, wir stehen natürlich nicht im Telefonbuch. Lenni hätte Ihnen unsere Nummer geben sollen. Egal. Wir wollten sowieso nirgendwohin.»
Stooke nahm Merrily die tropfnasse Barbourjacke ab und deutete auf ein langes cremefarbenes Ledersofa. Sie setzte sich möglichst weit von dem Holzofen entfernt ans Ende. Die Flammen hinter der Glasscheibe des Ofens tobten wie ein rotes Fegefeuer.
Sämtliche Lampen waren angeschaltet. Halogenleuchten waren wie kleine, helle Planeten in den Deckenverputz zwischen den neuen Eichenbalken eingelassen. An den Wänden strahlten Klemmleuchter. Es gab keine dunklen Ecken, keine verborgenen Winkel, keine Mysterien.
«Tut mir leid, dass es hier drin gerade viel zu warm ist», sagte Stooke, «aber wenn man auch nur ein Heizgerät abschaltet, kann es plötzlich richtig fröstelig werden.»
Von ihrem Platz aus sah Merrily einen, zwei, drei … vier große Heizlüfter.
«Die Temperatur schwankt unheimlich», sagte er. «Liegt wahrscheinlich an der fehlenden Isolation. Ich bin an solche Häuser nicht gewöhnt. Das Landleben ist so verdammt
anstrengend
. Ich bin eben durch und durch ein Stadtmensch.» Er lächelte schief. «Merrily, es tut mir leid, dass ich Ihnen so eine Enttäuschung bereitet habe. Winterson … Stooke. Ich konnte nicht …»
«Machen Sie sich keine Gedanken. Das Leben ist eben manchmal kompliziert.»
«Ja. Entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich hole den Kaffee.»
Er ging durch eine offenstehende Tür hinaus. Merrily lehnte sich auf dem Sofa zurück. Man konnte leicht verstehen, warum jemand Cole Barn mietete. Die Scheune war mit großzügiger Hand umgebaut worden; der enorme Kamin, die Steinfliesen, die hellen, rohen Eichenbalken.
Die Stookes hatten nicht viel mitgebracht. Das Sofa und einen gepolsterten Schaukelstuhl, einen Schreibtisch mit Stahlrahmen, zwei dicke helle Teppiche und genügend Regale, um ein paar hundert Bücher unterzubringen. Merrily versuchte, einige Titel zu entziffern, aber die Regale standen zu weit weg.
Das hier war eine andere Welt. Eine Welt mit unbegrenztem Öl, während sie und Jane über Kerzen bibberten.
«Merrily!»
Leonora, selbstbewusst und anmutig, war in einem hellen Frottébademantel und mit einem Handtuch um den Kopf hereingekommen. Merrily stand auf.
«Ich hätte nicht einfach so hier aufkreuzen sollen, aber ich konnte Sie nicht anrufen.»
«Ja, ich hab’s gehört. Meine Schuld.»
«Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Ich wollte nur noch kurz über etwas sprechen. Über etwas, das Sie in der Kirche gesagt haben. Darüber, dass sich Elliot in eine fundamentalistische Sekte einschleichen wollte.»
«Setzen Sie sich doch bitte wieder.» Leonora ließ sich auf dem Schaukelstuhl nieder. Sie war barfuß. «Das wäre bei genauerer Überlegung nicht gegangen», sagte sie. «Ich bezweifle, dass er es auch nur ein oder zwei Stunden mit solchen Leuten ausgehalten hätte. Ganz besonders, wenn sie alle so sind wie unsere Freundin von der Postfiliale.»
«Und war das die Sekte, in die er sich einschleichen wollte? Die vom Herrn des Lichts?»
«Er war einfach wütend, als sie anfingen, uns zu belästigen. Da hat er diese Idee gehabt, aber er hätte nie die Geduld dazu aufgebracht. Ich will nicht, dass Sie denken, wir hätten Angst vor dieser Frau. Aber wenn sie sich entscheidet, uns bloßzustellen, wird sie das auf eine grässliche Art machen. Wenn wir hier im Dorf bleiben, wird es irgendwann sowieso bekannt werden, aber ich wollte, dass man uns zuerst als
Menschen
kennenlernt.
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