Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
aussprechen.»
«Das glaubt sie wirklich?»
«Wer weiß? Vielleicht denkt sie, dass sie damit ein paar Leute davon abhalten kann, heute Abend in die Kirche zu kommen. Kann sein, dass es klappt.»
«Jemand muss sie dazu bringen, damit aufzuhören.»
«Ich kann nichts tun.» Mom schüttelte mit hängenden Schultern den Kopf. «Die Polizei ist nicht da … und wird auch erst nach Weihnachten kommen … und ich werde nicht die Rolle von Richter und Geschworenen übernehmen.»
«Mom …»
«Und in Wahrheit wissen wir nicht einmal, ob sie es war, oder?»
«Jetzt komm, das ist doch so klar wie nur was.»
«Es gibt hier bestimmt noch mehr Mitglieder ihrer … Kirche. – Also, bald fängt Lols Konzert an und wir …»
«
Mom!
Du warst noch gar nicht drinnen.»
Merrily sah, dass Jane Tränen in die Augen stiegen. «Mom, hör zu, sie … oder wer immer es war … ist geisteskrank. Das hat nichts mit Religion zu tun. Nichts mit
dir
. Du hast alles getan, was du nur konntest.»
Jane leuchtete die Flügeltüren an, schob eine auf und ließ Merrily vorangehen.
Die Bänke und Stühle, die für den Meditationsgottesdienst aufgestellt worden waren, lagen umgestürzt durcheinander, ein paar Stühle waren zertrümmert worden …
Genau wie das untere Ende von Evas linkem Arm auf dem Buntglasfenster, die Hand, in der sie einen roten Apfel gehalten hatte, der immer den Sonnenuntergang einfing. Durch ein Loch, das in die Scheibe geschlagen worden war, lief Regen herein und die Wand hinunter und breitete sich auf dem Fliesenboden aus.
Mom sah hinauf zur Kanzel und dem hölzernen Lettner, als würde ihr Blick magnetisch angezogen.
Sechzehntes Jahrhundert. Mit wundervoll geschnitzten Äpfeln geschmückt.
Das alte Holz war um die Äpfel herum herausgehackt worden, das delikate Filigranmuster des Lettners gebrochen und gesplittert.
Man spürte förmlich noch den Wutrausch, hörte den gewalttätigen Widerhall von den Mauern.
Mit einem Hammer oder einem Beil hatte es bestimmt nicht lange gedauert. Und um diese Tageszeit kam nie jemand in die Kirche.
Schon gar nicht bei diesem Wetter, abgesehen davon, dass viele Dorfbewohner nicht zu Hause waren.
Und draußen hatte man bei all dem Regen sicher nichts hören können.
Lol sah vom Stimmen der Gitarre auf. Nicht weil es so laut gewesen wäre. Schon eher weil auf einmal alles still wurde, als er probehalber ein paar Akkorde anschlug. Die Boswell war an den Guild-Verstärker angeschlossen, und ein einfacher E-Moll-Akkord klang in dieser mittelalterlichen Bierschwemme so prickelnd und eindringlich wie eine Orgel in einer leeren Kirche.
Erstaunt sah Lol sich um. Überall Gesichter. Schätzungsweise mehr als hundert Gäste saßen an Tischen oder standen in Grüppchen an den Wänden und in den Nischen. Er hatte sie hereinkommen hören und gedacht, sie wollten einfach im
Swan
ein Glas trinken. Er hatte den Kopf gesenkt gehalten, sich auf die Boswell konzentriert, die er noch nie gespielt hatte. Das war aber auch nicht notwendig, denn sie war perfekt gestimmt und blieb perfekt gestimmt – in dem kleinen Zubehörfach des Gitarrenkoffers hatte Lol einen Zettel von Al gefunden, der ihm mitteilte, dass die Gitarre drei Tage zuvor besaitet worden war, und zwar mit dünnen Saiten, die täglich gestimmt worden waren, sodass sie sich jetzt nicht mehr so schnell verstimmten.
Die Boswell war
bereit
.
Als hätte Al von dem Konzert gewusst.
Der Regen trommelte an die Bleiglasfenster. Lol saß unauffällig in einer Ecke, als wäre er eine Art Hintergrundprogramm. Er sah Jane und Merrily nicht, Barry aber kam zu ihm und flüsterte: «Ein Haufen Leute aus Hereford. Die sind die ganzen zwei Meilen über die Fußgängerbrücke und die Felder gegangen. Sind mit dem Bus gekommen. Einer hat gesagt, es wäre beinahe so was wie eine Wallfahrt.»
«Zu
diesem
Konzert?»
«Sie sind wohl bekannter, als Sie selber wissen, mein Freund.»
Wallfahrt.
Dann fiel ihm wieder ein, dass Jane morgens in der Church Street gesagt hatte, sie hätte den Konzert-Hinweis auf die Webseite von Coleman’s Meadow gestellt. Also kamen sie, um Jane zu unterstützen, für die Megalithen, und er war nur der Anlass. Sofort wurde Lol leichter ums Herz.
Barry grinste.
«Wir machen Gewinn. Sind Sie bereit, mein Freund?»
«Moment noch.»
Lol tippte ans Mikrophon … zu laut.
«Soll ich Sie vorstellen?», fragte Barry. «Ich kenne mich bei solchen Sachen nicht so aus.»
«Ich fange einfach an», sagte Lol.
«Sehr gut.»
Lol
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