Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
Garten begeben. In den letzten Tagen war er häufiger wach gewesen, aber es ging ihm nach wie vor nicht besonders gut. Die beiden Ärzte bestanden darauf, dass er viel trank und nur flüssige Nahrung zu sich nahm, kräftige Suppen und Brühen, um den verletzten Darm nicht allzu sehr zu belasten. Lena betrat die Krankenstube und fand ihren Gatten noch immer schlafend. Leise schloss sie die Tür von außen und wandte sich zum Tor des Palastes, als sie plötzlich Bertram bemerkte. Der Junge lehnte an einer Säule und starrte vor sich auf den Boden.
»Bertram!«, rief sie überrascht. »Du bist schon zurück? Ich dachte, du seist mit Rupert und Witold unterwegs.«
»Das war ich«, gab er zu. »Wir haben den üblichen Rundgang unternommen, aber nichts Neues erfahren.«
»Und wo sind die beiden Waffenknechte jetzt?«
»Witold hat vor einigen Tagen eine Schankstube entdeckt. Die Tochter des Wirtes ist ganz vernarrt in sein blondes Haar. Rupert begleitet ihn. Er hofft, dass das Mädchen ihn einer Freundin vorstellt.«
»Ja, wenn das so ist …«, sagte Lena gelassen.
Bertram hob den Blick. »Ihr seid nicht entsetzt, Frau Helena?«
»Warum sollte ich?«
»Weil … weil die Frauen hier so zügellos sind. Keuschheit scheint ihnen nicht viel zu bedeuten.«
»Weißt du, Bertram, solche Frauen gibt es überall.«
»Ihr sprecht, als wäre es keine Sünde.«
»Du sorgst dich ein wenig zu sehr um die Sünden anderer. Wenn Witold der jungen Schankmaid gefällt, warum nicht? So etwas kommt auch bei uns vor. Denk nur an die Bademägde!«
»Frau Helena!«, rief der Knappe entrüstet.
»Ja, Bertram?« Sie lächelte ihn freundlich an. »Wolltest du mir noch etwas sagen?«
»Ich … ich … dachte immer … Frauen … und vor allem Ihr … wärt entsetzt, wegen der Bedürfnisse der … Männer.«
»Vielleicht solltest du die Welt allmählich so sehen, wie sie ist. Sprich später mit Philip darüber – im Augenblick schläft er noch.«
»Aber ich kann ihn doch nicht mit meinen Kümmernissen belasten, nachdem es ihm so schlecht geht.«
»Das wird er schon aushalten, denn damit kennt er sich gut aus.« Mit diesen Worten ließ sie Bertram stehen und machte sich auf den Weg zum Tempel der Isis.
»Du bist gekommen!« Anuket lief Lena freudestrahlend entgegen. Seit es Philip besser ging, kümmerten sich die Diener des Palastes um sein Wohlergehen, und Anuket war in den Tempel zurückgekehrt.
»Komm! Ich begleite dich zur Hohepriesterin.«
Der Tempel der Isis war nicht ganz so groß wie das Heiligtum des Seth, aber nicht weniger prachtvoll. Hier gab es nur wenige Säulen, dafür reihten sich an den Wänden zahlreiche Statuen, die so naturgetreu bemalt waren, dass Lena im ersten Augenblick lebendige Menschen zu sehen glaubte. Zwischen den Standbildern waren brennende Feuerschalen aufgestellt, deren flackerndes Licht den verwirrenden Eindruck noch verstärkte.
Anuket führte Lena durch die Halle der Statuen bis zu einem weiteren Portal.
»Bitte, warte hier! Nur die Priesterinnen dürfen das Allerheiligste betreten.«
Lena blieb stehen und sah sich um, während Anuket im Tempelinnern verschwand. Auch im Tempel der Isis waren die Wände über und über mit ägyptischen Schriftzeichen bedeckt. Lena fragte sich, welche Geschichten sie wohl erzählten, und dachte sogleich an Said, der sich auch an diesem Tag wieder in aller Frühe in die Bibliothek zurückgezogen hatte. Wissen sei ein Schatz, den zu heben sich lohne, hatte er mit leuchtenden Augen gesagt.
Das Geräusch nahender Schritte riss Lena aus ihren Betrachtungen. Anuket kehrte zurück, gefolgt von vier weiß gekleideten Frauen. In deren Mitte die Hohepriesterin, unverwechselbar in ihrem zarten Gewand aus Silberfäden, dem großen Kragen aus Juwelen und der goldenen Schnur um die Mitte. Den auffälligsten Schmuck aber bildete ihr Kopfputz. Eine runde Goldscheibe, fast so groß wie ihr Gesicht, umrahmt von zwei Hörnern, ragte über ihrem Scheitel auf. Ob sie wohl immer derartig ausgestattet auftrat, oder hatte sie das Geschmeide angelegt, um Besucher wie Lena zu beeindrucken?
Anuket verneigte sich vor der Hohepriesterin, während diese aus dem Kreis ihrer Frauen hervortrat und auf Lena zuschritt.
»Die ehrwürdige Pachet, Hohepriesterin der Isis«, verkündete Anuket.
Ob man von Lena erwartete, dass sie das Haupt senkte? Sie war sich unsicher, und so hielt sie dem Blick der Hohepriesterin stand. Ein seltsamer Blick, dachte sie. So etwas war ihr bislang noch nicht
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