Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
deines Großvaters klingen besorgniserregend«, hörte Lena Said sagen.
»Darüber mache ich mir erst Gedanken, wenn ich ein heißes Bad genommen habe«, entgegnete Philip leichthin. »Komm, Lena! Dir wird es gefallen.«
Schon die Eingangshalle des Hauses wirkte beeindruckend. Der Boden bestand aus weißem Marmor, so glatt poliert, dass man sich fast darin spiegeln konnte. Von hier aus gingen mehrere Türen ab. Die größte führte in einen Innenhof, der von außen nicht sichtbar war. Noch konnte Lena nicht viel erkennen, nur dass dort Bäume und Blumen wuchsen, die sie noch nie gesehen hatte.
»Die Schlafgemächer befinden sich im oberen Stockwerk«, erklärte Philip. »Was möchtest du zuerst? Das Haus sehen oder ein Bad nehmen?«
»Ist das Bad denn schon beheizt?«
Philip nickte. »Es gibt im Keller mehrere Kessel, die das Bad und die Fußbodenheizung erwärmen. Ursprünglich stammt die Anlage aus römischer Zeit, aber sie wurde im Lauf der Jahrhunderte vielfach umgebaut und verbessert.«
»Ich möchte dennoch zunächst das Haus sehen.«
Er lächelte. »Dann komm!«
Lena hatte gewusst, dass Philips Großvater ein wohlhabender Mann war. Dennoch verschlug ihr die Pracht des Hauses schier den Atem. Hinter der großen Halle lag ein kleinerer Raum, dessen Boden mit kostbaren Teppichen ausgelegt war. Mehrere Polsterbänke umstanden einen niedrigen Tisch. Dazwischen häuften sich Sitzkissen. Eine sandgelbe Katze hatte sich auf dem größten Polster schlafend zusammengerollt, ganz so, als wäre sie die Königin und dies ihr Thron. An der anderen Seite stand ein Tisch aus dunklem Holz, dessen Beine wie Löwenpranken gestaltet waren. Ringsum waren acht fein gedrechselte Stühle gruppiert. Lena fiel auf, dass alle Stuhlbeine wie Tierläufe gearbeitet waren und kein Stuhl dem anderen glich. Da gab es Löwenpranken und Pferdehufe, die samtenen Pfoten einer Katze, die stämmigen Beine eines Elefanten und noch andere, die Lena keinem Tier zuordnen konnte. An der Wand hinter der Sitzgruppe hing ein großer Bildteppich, der das letzte Abendmahl darstellte. Die übrigen Wände waren mit bunten Blütenranken bemalt.
»So leben wohl Könige«, hauchte Lena.
Philip lachte. »Wenn du jemals den Palast des Emirs betreten solltest, wirst du den Unterschied sogleich bemerken.«
Er führte sie ins obere Stockwerk, wo sich die Zimmerfluchten der Familie erstreckten. Oft hatte Lena sich ausgemalt, wie Philip wohl in seiner Heimat leben mochte. Ihr Vater hatte ihr als Kind allerlei wundersame Geschichten und Märchen von den Reisen erzählt, die er als junger Mann unternommen hatte. Doch alle Berichte hatten sie nicht auf den Anblick vorbereitet, der sich ihr hier bot. Sie war kleine Kammern gewohnt, in denen lediglich ein Bett und ein Waschtisch Platz fanden. Philips Zimmer war mehr als viermal so groß wie alle Schlafstuben, die sie jemals gesehen hatte. Ein riesiger roter Teppich mit orientalischen Ornamenten aus blauer, gelber und grüner Wolle bedeckte den Boden. Das eine Ende des Raumes beherrschte ein großes Himmelbett, dessen Vorhänge aus einem zarten dunkelblauen Seidenstoff gefertigt waren. Daneben gab es einen kleinen Waschtisch mit einer Zinnkanne und einer irdenen Waschschüssel. Schräg gegenüber stand ein niedriger runder Tisch, um den vier Sitzkissen angeordnet waren. Vor dem Fenster entdeckte Lena ein Schreibpult, an der Wand daneben waren Bücherborde befestigt, die sich unter der Last der ledergebundenen schweren Werke durchbogen. Lenas Blick wanderte weiter. An der Wand, die den Bücherregalen gegenüberlag, waren zwei große Löcher im Putz zu sehen. Es schien, als hätte jemand ein Bord von der Wand gerissen. Philip bemerkte, dass ihr Blick auf jener Stelle verharrte.
»Ich hatte gehofft, die Stellen seien inzwischen ausgebessert oder mit einem Wandteppich verhängt worden«, sagte er seufzend.
»Wie sind diese Löcher entstanden?«
»Dort hing ein prächtiges Schwert. Ein deutscher Zweihänder. Mein Vater hatte ihn für mich in Auftrag gegeben. Nach seinem Tod wurde mir alles zuwider, was an das Rittertum erinnerte. Meine Mutter indes weigerte sich, das Schwert zu entfernen. Da warf ich es aus dem Fenster und riss die Halterung aus der Wand.«
»Du warst zutiefst verzweifelt.«
»Ich war nicht mehr ich selbst.«
Einen Augenblick lang vermochte Lena Philips damaligen Seelenzustand geradezu körperlich zu spüren. Die Gefühle der Schuld, der Scham und der Trauer, die alles in eine Wüste der
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