Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Prinzipal hatte die Gemeinde vor den Häschern gewarnt, vor all jenen, die den Gefährten nachstellten, die ihre Geheimnisse herausfinden und ihnen schaden wollten. Was, wenn diese beiden Journalisten, die letzte Woche unbefugt in die heiligen Räume eingedrungen waren, insgeheim weiterforschten? Wenn sie Dinge aufdeckten, die sie nichts angingen, Dinge, die besser im Verborgenen blieben? Wenn er sich selbst und seinen Sohn retten wollte, musste sich etwas ändern. Und zwar nicht erst in einigen Wochen, sondern gleich. Heute noch. Frieder Wörth atmete tief durch und sah hinaus auf die vorbeiziehenden Wohnhäuser. Vereinzelt brannte schon Licht hinter den Fenstern. Kleine Inseln der Helligkeit in der allumfassenden Finsternis, Zeichen der Hoffnung.
Nachdem er ausgestiegen war, marschierte er mit schnellen Schritten durch das Viertel. Vielleicht hatte er sein Seelenheil und damit auch das seines Sohnes noch nicht verspielt. Zuerst musste den Häschern das Handwerk gelegt werden. Danach konnte er sich um Marcels und seine Zukunft kümmern. Im Gehen nahm er die Brieftasche aus der Jacke, suchte nach der Visitenkarte von dieser blonden Zeitungsfrau, prägte sich die Telefonnummer ein und zerriss das Kärtchen dann in viele kleine Schnipsel, die er über die Straße flattern ließ.
Das Haus der Gemeinde überragte die Nachbarvillen. Still und sanftmütig wartete es in der Finsternis hinter den mächtigen Bäumen. Alle Fenster waren dunkel. Frieder ging dicht an der Begrenzungsmauer entlang, schlich am Tor vorbei, das nachts immer abgesperrt war, und bog dann zum Nachbargrundstück ab. Dieses verfügte nur über einen schmiedeeisernen Zaun, der relativ leicht zu überwinden war. Was man von vorn nicht sah, war, dass die Villa der Gemeinde nur zur Straße und zu den Seiten hin mit einer hohen Mauer gesichert war. Ganz hinten, zwischen den Bäumen, an der Grenze zur Nachbarvilla, befand sich lediglich ein einfacher Zaun. Zudem waren die Rhododendronbüsche hier mannshoch und verbargen die Sicht. Frieder Wörth hastete ohne hochzusehen zur Tür, zog den Schlüssel hervor und glitt leise hinein. Vorsichtig griff er nach der Klinke, um sie wieder zu schließen, als die grimmige Stimme von Romain Holländer ihn erschauern ließ. »Guten Morgen, Frieder. Ich glaube, du hast mir einiges zu erklären.«
35
Lara betrachtete die Meldung mit offenem Mund. Es dauerte einige Sekunden, bis sie den Wortlaut verstand. Ihr gegenüber tippte Hubert, den Blick auf den Bildschirm gerichtet. Das Stakkato seiner Tastatur untermalte die Nachricht, die gerade über den Ticker kam.
Leichenfund in Fast-Food-Filiale in Großpösna … Toter heute früh von Reinigungskräften entdeckt … Tätowierung auf der Stirn …
Sie griff, ohne hinzusehen, nach der halbvollen Wasserflasche, setzte sie an und trank. Es schmeckte schal. In den Suchmaschinen-News waren fünfundsiebzig Meldungen zu dem Leichenfund verzeichnet. Die meisten von ihnen wiederholten lediglich den Wortlaut der Agenturmeldung, einige wenige schienen Insiderinformationen zu besitzen. Lara überflog die Berichte.
Servicekräfte hatten den Toten heute früh gefunden. Da mehrere Personen involviert gewesen waren, war es der Polizei nicht gelungen, den erneuten Leichenfund geheim zu halten. Das Reinigungspersonal hatte gegenüber der schnell anwesenden Presse freimütig geplaudert.
Der Tote war nackt und mit Gurten auf einem Stuhl festgeschnallt gewesen. Aus seinem Mund quollen mehrere Burger-Brötchen, die man hineingepresst hatte, in den Nasenlöchern steckten Pommes frites. Das Gesicht und auch die Brust hatte man mit Mayonnaise und Ketchup beschmiert. Die Unterarme waren auf der Tischplatte drapiert, unter den Handflächen lagen zerdrückte Croissants. Auf dem Tisch vor der Leiche hatte der Täter unzählige Mahlzeiten auf Tabletts aufgehäuft, es türmten sich Schachteln mit allen Sorten von Burgern, Hähnchen-Nuggets, Wraps, Pommes frites und Sandwiches, daneben fanden sich zehn große Becher mit Cola, Tütchen mit Senf, Mayo und Ketchup.
Es musste ein bizarrer Anblick gewesen sein. Lara sah schnell zu Hubert und dann wieder auf ihren Bildschirm. Der Kollege hatte ihre Gesundung kommentarlos hingenommen, so wie die meisten anderen in der Redaktion auch. Lediglich Tom hatte ihr, ein maliziöses Lächeln auf den Lippen, zur »schnellen Genesung« gratuliert.
Montags war in der Redaktion immer viel los. Das Wochenende musste aufgearbeitet werden, minütlich kamen neue Eilmeldungen
Weitere Kostenlose Bücher