Sündenkreis: Thriller (German Edition)
herumtrieb, wen er traf und was er dort tat.
»Melinda, wir haben einiges zu besprechen.« Die Frau nickte träge. Romain Holländer begann mit der Befragung.
*
»Es fehlen der Neid und der Zorn.« Lara legte ihr Notizbuch auf den Tisch neben den leeren Pizzakarton. Ihr war warm. Sie beobachtete träge, wie Jo ihr aus der halbvollen Weinflasche, die der Pizzabote mitgeliefert hatte, nachschenkte.
»Ich frage mich, warum dieser Reinmann das nicht gleich erkannt hat? Er muss doch als Experte sofort gesehen haben, was das bedeutet.« Jo trank sein Bier gleich aus der Flasche. Lara fühlte sich ein wenig schläfrig. Der schwere Portwein von Stefan Reinmann kreiste durch ihre Adern wie flüssiges Blei und machte ihre Beine und den Kopf schwer. »Weil er es nicht wusste. Ich habe ihm doch erst heute Abend von allen Inschriften auf der Stirn erzählt.«
»Und Mark war nicht zu erreichen?«
»Nein. Ich habe ihm auf Band gesprochen.«
»Mist. Wir sollten das der Kripo mitteilen.«
»Das wissen die doch bestimmt längst.« Lara stützte den Kopf in die Handflächen.
»Vielleicht auch nicht. Obwohl, wenn man bedenkt, dass sie alle Inschriften kennen, ist es wahrscheinlich, dass sie selbst auch auf die Todsünden gekommen sind. Die Fallanalytiker dort sind auch nicht grade blöd.« Jo schien nicht aufgeben zu wollen. »Das nächste Opfer muss etwas mit Neid oder Zorn zu tun haben.«
»Das könnten Tausende sein. Oder Zehntausende. Warst du in deinem Leben nicht auch schon einmal zornig oder neidisch? Ich kann nicht mehr. Lass uns morgen darüber diskutieren.«
»Na, na. Du gibst doch sonst nicht so schnell auf.« Jo kam herüber und begann, ihr die Schultern zu massieren.
»Dieser Reinmann hat mich betrunken gemacht.« Lara hickste und kicherte dann. »Gut, dass mich auf der Heimfahrt keiner erwischt hat.«
»Da hast du recht. Noch einen Schluck Wein?«
»Lieber nicht.« Lara kicherte erneut. In ihrem Kopf tanzten kleine Ballettmädchen einen anmutigen Reigen.
»Du bist der Chef.« Jo löste seine Finger von ihren Schultern, neigte den Oberkörper nach vorn und küsste sie.
*
Der Himmel hinter den Dächern hatte ein durchsichtiges Blau angenommen. Die grauen Wolken der letzten Tage waren fortgezogen. Bald würde die Sonne aufgehen und die Trübsal der letzten Tage hinwegbrennen. Wie bizarre Skulpturen reckten die Kastanien ihre nackten Arme über die Straße. Jo steckte sein Handy ein, sah nach oben und sog dann tief die Luft ein. Vielleicht bildete er es sich nur ein, aber er fand, dass es ein bisschen nach Frühling roch.
Sein Honda gab ein asthmatisches Jaulen von sich und sprang dann an. Es war kurz nach halb acht. Leipzig erwachte allmählich. Weiße Atemwölkchen kristallisierten sich vor seinem Mund, zerfaserten und schlugen sich als feiner Nebel auf der Innenseite der Windschutzscheibe nieder. Jo stellte das Gebläse auf maximale Leistung und fuhr los.
Er hatte die halbe Nacht wach gelegen, auf Laras ruhiges Atmen neben sich gehört und an die fünf Toten gedacht. Ein Wahnsinniger ermordete wahllos Menschen, denen er eine der sieben Todsünden zugeordnet hatte. Bei der Kripo war niemand Verantwortliches zu sprechen gewesen. Vielleicht war es noch zu früh am Tag. Jo hatte seine Erkenntnisse einem mürrischen Beamten geschildert und um Rückruf gebeten. Wahrscheinlich wusste die Soko sowieso schon alles, aber sein Gewissen hatte keine Ruhe gegeben. Er bog auf die Karl-Liebknecht Straße ab und beschleunigte.
In Markkleeberg herrschte frühmorgendliche Vorortstille. Wie schlafende Dornröschenschlösser ruhten die Villen hinter den Zäunen und Mauern. Der tauende Schnee war hier noch sauber. Eine alte Dame kam mit ihrem West-Highland-Terrier aus einem Tor, blickte mehrmals in beide Richtungen und setzte sich dann vorsichtig in Bewegung. Jo fuhr im Schritttempo die Parkstraße entlang und betrachtete die Häuser. Dann bog er auf die Raschwitzer Straße ab und parkte unter den hohen Bäumen. Es dauerte eine Weile, bis er seine Utensilien zusammengesucht hatte. Es war nicht mehr ganz so frostig wie in den letzten Tagen, und doch zog er sich den Schal über das Kinn und die Mütze tief ins Gesicht. Mit dem grünen Armeeparka und den dicken Lederhandschuhen fühlte er sich ausreichend gewappnet, der Kälte und auch allem anderen, was ihn erwarten mochte, standzuhalten.
Jo schloss das Auto ab und machte sich auf den Weg. Die riesigen Grundstücke umschlossen parkähnliche Gärten. Überall verwehrten solide
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