Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Grundstücken.
Ein leises Quietschen ließ sie zusammenfahren, und sie sah sich hektisch um. Das Quietschen wurde lauter, und plötzlich tauchte ein Radfahrer wie ein flinker Nachtmahr aus dem Dunkel auf. Er trug schwarze Kleidung. Im Näherkommen sah Julia Seemann, dass er die Skimütze bis über die Ohren gezogen hatte. Der dunkle Schal verbarg Mund und Nase, sodass nur die Augen wie zwei schwarze Löcher aus dem weißen Gesicht hervorstarrten. Die Zeitungsmeldungen der letzten Wochen tauchten in ihrem Kopf auf: »Brautleiche«, »Kirchenleiche«, »Bankleiche«. In Leipzig trieb sich ein Serienmörder herum, und sie war so dumm, allein auf einem menschenleeren Parkplatz herumzuwandern. Jetzt wünschte sie sich, Elena wäre doch mitgekommen. Vielleicht hätte der Täter sich dann die Kollegin geschnappt. Julia Seemann kicherte nervös und wurde gleich wieder ernst. Ihre Blase drückte. Sie umklammerte den Schlüsselbund in ihrer Rechten und spannte alle Muskeln an; bereit zuzuschlagen, falls der Mann auf dem Rad ihr zu nahe kommen würde. Zuerst würde sie ihn umstoßen und dann mit dem aus der Faust hervorragenden Schlüssel nach den Augen stechen. Noch ehe sie ihren Plan ganz zu Ende gedacht hatte, war der Radfahrer auch schon heran. Ein eisiger Luftzug streifte ihr Gesicht, dann war er vorbei. Der ganze Spuk hatte nur wenige Sekunden gedauert.
Julia Seemann entspannte ihre Schultern und lockerte die Finger. Die Bärte der Schlüssel hatten sich tief in das weiche Leder ihres Handschuhs gegraben. Sie schaute entschieden zu viele Krimis. Das mochte zu Hause auf der Couch kurzweilig sein, aber in Situationen wie dieser spielte einem die Fantasie böse Streiche. Sie atmete mehrmals tief durch und setzte sich wieder in Bewegung.
Ihr Auto stand ziemlich weit hinten. Weiter vorn hatte es vorhin keinen freien Parkplatz mehr gegeben, und hier hinten gab es keine Lampen. Der helle Schein aus dem vorderen Bereich reichte nur bis zur Hälfte des Parkplatzes. Sie lief schneller, drückte schon von Weitem auf die Fernbedienung und atmete erleichtert auf, als das Licht aufflammte und rings um ihr Auto alles in hellen Schein tauchte. Kein Verbrecher, der auf einsame Frauen wartete. Sie konnte ganz beruhigt einsteigen.
Den grinsenden Mann auf dem Rücksitz sah sie erst beim Losfahren.
*
»Dann ist sie aus dem Autohaus herausgekommen und zurück zu ihrem gelben Auto gegangen.« Melinda Weiß machte ein empörtes Gesicht. »Fast hätte ich den beiden ihr Versteckspiel abgenommen! Sie ist eingestiegen und losgefahren. Wie gut, dass ich von der anderen Straßenseite das gesamte Gebäude im Blick hatte!«
»Beruhige dich, Melinda. Trink einen Schluck Wasser.« Romain Holländer lächelte begütigend. Seine kleine Spionin war ihm schon in der Eingangshalle entgegengekommen und hatte mit fahrigen Gesten signalisiert, dass sie Neuigkeiten hatte. Ein simpler Brief, unter seiner Tür durchgeschoben, war diesmal anscheinend nicht angemessen. Sie hatte extra auf ihn gewartet, um ihm ihre Beobachtungen persönlich zu berichten. Weil er nicht da gewesen war, hatte sie ihre Wohngenossin Sarah allein nach Hause geschickt und in der Küche gesessen, bis er kam. Romain Holländer schüttelte leicht den Kopf und beobachtete, wie Melinda Weiß in hastigen Schlucken trank. Es war ein ziemlicher Schock für ihn gewesen, als die kleine Frau plötzlich im Eingangsbereich vor ihm gestanden hatte. Aber es war ihm gelungen, seine Nervosität gut zu überspielen. Melinda Weiß hatte nichts davon mitbekommen. Ihr gesamtes Denken kreiste um die Beobachtungen, die sie gemacht hatte. Jetzt saß sie ihm im Besprechungsraum gegenüber, hatte hochrote Flecken im Gesicht und atmete hektisch.
»Und du bist dir sicher, dass das diese Journalistin war?«
»Vollkommen sicher. Ich habe sie hier ja schon zweimal gesehen. Einmal war sie sogar bei der Abendspeisung dabei!«
»Richtig. Die Journalistin ist also losgefahren. Und weiter?«
»Sie ist nicht auf die Straße abgebogen, wie ich dachte, sondern um das Autohaus herumgekurvt. Ich habe zehn Minuten gewartet, aber sie tauchte nicht wieder auf.« Melinda Weiß schnappte nach Luft wie ein Karpfen. »Hätte ja auch sein können, dass sie dort einen Werkstatttermin hatte. Aber erst um siebzehn Uhr? Und wäre sie dann nicht zu Fuß wieder herausgekommen? Ich war mir ziemlich sicher, dass das Ganze etwas mit Frieder zu tun haben musste. Jedenfalls bin ich rein und habe nach ihm gefragt.«
»Und?«
»Das junge
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