Sündenkreis: Thriller (German Edition)
konnte, war Lara schon aufgesprungen, hatte sich ihren Mantel geschnappt und ging hinaus. Sie musste Isabell vorwarnen. Danach würde sie Mark anrufen. Frieder Wörth hatte sie gestern um Hilfe gebeten. Er brauchte einen kompetenten Kindertherapeuten für seinen Sohn.
Aber außerdem hatte Frieder Wörth von den Kindern des Himmels noch ganz andere Probleme. Wahrscheinlich glaubte er, dass außer ihm und den beiden anderen Männern auf dem Video niemand davon wusste, aber da irrte er sich. Mark würde Rat wissen, wie man in solch einem Fall vorgehen musste.
Sie öffnete die Tür zur Straße, blinzelte und nieste. In ihr summte und sang es. Die Sonne schien, und der Frühling stand vor der Tür. So blendend hatte sich Lara Birkenfeld schon lange nicht mehr gefühlt.
*
Es war, als würde sich ein spitzer Eisenspan in Julia Seemanns Kopf schrauben, tiefer und tiefer, und sich direkt in ihr Gehirn fressen. Dazu kam, dass ihr schlecht war. Die Übelkeit drängte nach oben, breitete sich wie ein träger Schleimklumpen in ihrem Inneren aus und kroch den Brustkorb hoch in Richtung Kehle. Ihre Augen schmerzten, und die Lider wollten den Befehlen, sich zu öffnen, nicht folgen. Julia Seemann beschloss, ihnen einfach noch ein wenig Zeit zu lassen. Irgendwann würden sie schon gehorchen. Sie versuchte nachzudenken; herauszufinden, was die Kopfschmerzen und das Unwohlsein verursacht haben konnte, aber in ihrem Gehirn wirbelten die nutzlosen Gedanken durcheinander wie Mehlstaub, in den jemand hineingepustet hatte.
Gerade als eine verschwommene Erinnerung an ein Essen mit Birgit, Hannah und Elena beim Chinesen auftauchte, hörte Julia das Atmen. Es war nicht besonders laut und ertönte direkt über ihr.
Nun befolgten die Augen die Befehle sofort. Sie öffneten sich, doch Julia Seemann sah im ersten Moment nichts. Nichts als blendende Helligkeit, die nur langsam verblasste. Es dauerte endlose Sekunden, bis das Gleißen verschwand und sich Umrisse aus dem Licht schälten. Das Atmen war die ganze Zeit weitergegangen. Sie erkannte, dass es zu einer Person gehörte, die vor ihr stand. Julia Seemann zwinkerte mehrmals. Ihre Augen brannten. Der Umriss schien zu einem Mann zu gehören. Der Mann musterte sie. Da sich die Lichtquelle hinter ihm befand, konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. Jetzt räusperte sich der Mann, dann sprach er.
»Das hat aber lange gedauert, meine Liebe. Ich hatte schon Bedenken, dass die Dosis zu hoch war. Aber jetzt bist du ja wieder da. Ich gebe dir noch ein paar Minuten, dann gibt es einiges zu besprechen.«
Julia Seemann öffnete den Mund, um zu protestieren, aber es kam kein einziges Wort heraus, lediglich ein trockenes Krächzen, dann musste sie husten. Wo befand sie sich? Wer war dieser Typ, und was hatte er damit gemeint, dass »die Dosis zu hoch« gewesen sei? Vor ihr beugte sich der Mann über eine große Reisetasche, in der er herumkramte. Sie konnte ihn dabei murmeln hören. Ihre Augen schmerzten noch immer; besonders wenn sie die Augäpfel in den Höhlen schnell hin- und herbewegte. Trotzdem versuchte Julia Seemann, den Raum zu betrachten. Erst als sie die Arme anspannte, um dem Mann ihre Fingernägel ins Gesicht krallen zu können, wenn er dichter an sie herankäme, bemerkte sie, dass das nicht gelingen würde. Arme und Hände ließen sich nicht bewegen. Das Schwein hatte sie gefesselt. Julia Seemann schluchzte leise und hörte sofort wieder damit auf. Die Genugtuung, dass sie vor ihm heulte, würde er nicht so einfach bekommen.
»Wie weit bist du?« Er hatte sich herumgedreht und betrachtete sie ruhig. Julia Seemann hatte das undeutliche Gefühl, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben, aber ihr wollte partout nicht einfallen, wann und wo.
»Willst du mir gar nicht antworten?« Auch das Gerät, das der Typ in den Händen hielt, kam Julia vage bekannt vor, aber auch hier weigerte sich ihr Gehirn, nähere Informationen preiszugeben. Es sah ein bisschen aus wie ein Akkubohrer, nur kleiner. »Bist du ganz da? Es ist wichtig, dass du verstehst, was ich dir sage. Dazu darfst du nicht mehr benommen sein. Wir haben nämlich dieses Mal nicht so viel Zeit wie sonst.«
Julia Seemann spannte alle Muskeln an. Ihr war eingefallen, woher sie den »Akkubohrer« kannte. Von einem Besuch im Tattoostudio. Ihre ältere Tochter hatte unbedingt einen Schmetterling auf dem Knöchel haben wollen, und damit ihr nicht plötzlich noch andere Körperstellen zum Verzieren einfielen, war sie mitgegangen. Der
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