Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Abnehmverein war von ihr gekommen. Ob sie nicht gemeinsam ihrem Winterspeck zuleibe rücken wollten, hatte sie die Kolleginnen nach Weihnachten gefragt, und Birgit und Hannah waren sofort Feuer und Flamme gewesen. Seitdem gingen sie einmal die Woche zu den Gruppentreffen und – da sie an den betreffenden Tagen extra wenig aßen, um der Waage ein Schnippchen zu schlagen – hinterher gemeinsam zum Chinesen. Elena hatte schon fünf Kilo abgenommen und war vorhin zur Monatssiegerin Februar gekürt worden. Es war nicht gerecht. Manchmal hasste Julia Seemann ihre Kollegin.
»So, da wären wir. Ich rauche schnell noch eine.« Birgit grinste. »Dann habe ich nicht so viel Hunger.«
»Das ist eine gute Idee.« Auch Julia war stehen geblieben und nestelte in ihrer No-Name-Handtasche nach den Zigaretten. Nach fünf Minuten waren sie fertig und folgten Elena und Hannah in die Gaststätte. Den Mann, der ihnen von der anderen Straßenseite aus nachschaute, hatte keine von ihnen bemerkt.
»Ist das eine Kälte!« Birgit rieb sich die Arme und pustete spielerisch ein Atemwölkchen in die Luft. »Könnte allmählich Frühling werden, findet ihr nicht?« Sie steckte sich eine Zigarette zwischen die frisch angemalten Lippen, ließ ihr Feuerzeug schnippen und nahm einen tiefen Zug.
»Wir haben wohl alle den Winter satt.« Julia Seemann schluckte die scharfe Erwiderung herunter. Dieses kindliche Geplapper nervte sie jetzt seit zwei Stunden. Es war höchste Zeit, dass sie nach Hause kam. »Kommt jemand mit in meine Richtung?« Sie deutete nach links. Birgit und Hannah schüttelten die Köpfe.
»Ich gehe noch mit bis zur Bushaltestelle.« Elena warf sich den Riemen ihrer Jil-Sander - Tasche über die Schulter und verabschiedete sich mit einem »Tschüss, Mädels, bis morgen!« von den beiden anderen. Julia unterdrückte ein sarkastisches Schnauben. Mädels! Sie waren alle keine Teenager mehr. Sie zwang sich ein Lächeln ins Gesicht und schüttelte den anderen beiden die Hand.
Die Wolken vom Nachmittag hatten sich verzogen. Jetzt leuchtete eine schmale Mondsichel vom Himmel, ein paar einsame Sterne blinkten herab. Julia schielte zu Elena. Die Kollegin hatte ein fröhliches Gesicht aufgesetzt und schwenkte die Arme beim Gehen vor und zurück. Als habe sie Julias Blick bemerkt, sah sie herüber. »Schön, die frische Luft, nicht?«
»Na ja, geht so. Mir ist kalt.« Ein dunkles Auto fuhr im Schritttempo an ihnen vorüber. »Wird Zeit, dass ich nach Hause komme.« Julia Seemann sah dem Wagen hinterher und ärgerte sich, dass sie ihr Auto beim Klubhaus, in dem die Abnehmtreffen stattfanden, hatte stehen lassen müssen. Aber die anderen drei hatten unbedingt zu Fuß zum Chinesen gehen wollen – Kalorien verbrennen. Das hatte sie nun davon. Jetzt musste sie allein durch die öde Vorstadt zurückmarschieren.
»Ist ja nicht mehr weit.« Elena blieb an der hell erleuchteten Bushaltestelle stehen. »Oder soll ich mitkommen?«
Julia beeilte sich zu verneinen. Das fehlte gerade noch, dass diese High-Fashion-Schnepfe sich als Samariterin aufspielte. Hastig verabschiedete sie sich und stakte davon. Der Schneematsch des Tages hatte sich in eine unebene Eisfläche verwandelt, die das Gehen zu einem einzigen Schlingern machte. Komisch, Elena war ganz sicher neben ihr hergelaufen. Die Designerstiefel hatten vielleicht rutschfestere Sohlen. Das Gegenteil wäre Julia Seemann lieber gewesen. Sie sah über die Schulter und beschleunigte ihre Schritte. Um diese Zeit war es hier wie ausgestorben.
Die Uhr zeigte noch nicht einmal halb zehn, und doch war kein einziger Mensch zu sehen. Alle hockten in ihren warmen Wohnungen und genossen den gemütlichen Abend, nur sie quälte sich durch die eisige Nacht. Birgit und Hannah waren wahrscheinlich schon zu Hause. Elenas Bus würde in wenigen Minuten kommen. Julia Seemann schob den Unterkiefer vor und verzog dabei den Mund. Scheiß auf den Kalorienabbau! Sie wollte nach Hause und nicht mehr an diese Schnepfen und ihr pseudoglückliches Dasein denken müssen.
Der Parkplatz war nur im vorderen Bereich beleuchtet. Die Autos, die vorhin noch hier gestanden hatten, waren bis auf wenige Ausnahmen verschwunden. Im Klubhaus brannte kein einziges Licht mehr. Düster starrten die schwarzen Fenster auf den betonierten Platz herab. Julia Seemann fröstelte. Ihr war noch nie aufgefallen, wie einsam es hier abends war, in welcher abgelegenen Gegend sich das Klubhaus befand, umgeben von Abbruchhäusern, und leeren
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