Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Wänden darüber. In ihrem Kopf schwollen Kirchengesänge zu einer Lawine an. Wenige Zentimeter vor der metallenen Zwischentür stoppte Lara. Das Klopfen war jetzt ganz deutlich. Und sie hörte noch etwas anderes. Ein fernes Rufen. Eisig berührte das kalte Metall ihre Ohrmuschel, aber die Tür war so gut abgedichtet, dass Lara auch jetzt nicht verstehen konnte, was da gerufen wurde. Diese Tür hatte auch keine Klinke, sondern einen Knauf. Und sie war verschlossen. Lara machte kehrt und rannte wieder nach oben.
Das Bild, das sich ihr bot, war eine Replik der Szene von vor ein paar Minuten. Die älteste der drei Frauen kniete wieder neben Romain Holländer und fühlte seinen Puls. Die andere stand daneben, rang die Hände und schluchzte leise. Das Mädchen hielt ein Telefon in der Hand und starrte mit leblosen Augen zur Freitreppe.
»Wo ist der Schlüssel für die Kellerräume?« Es war, als hätte sie nichts gesagt. Niemand reagierte. Lara hastete zu der älteren Frau, rüttelte an deren Schulter. »Wo der Schlüssel für diese Zwischentür im Keller ist, habe ich gefragt!« Langsam blickte die Frau hoch. Ihr Mund blieb verschlossen.
Lara rüttelte stärker. »Antworten Sie! Ich werde Sie sonst der Beihilfe zu einer Straftat anzeigen!«
»Haben wir nicht.«
»Was soll das heißen? Sie besitzen keinen Schlüssel für die verschlossenen Räume im Keller?«
»Nein.«
Jetzt erwachte das Mädchen zum Leben. Sie zeigte auf den bewusstlosen Sektenführer und flüsterte: »Nur der Prinzipal hat welche.« Dann ging sie in die Knie und begann zu wimmern. »Es war ein Fehler, oh Gott!«
»Was war ein Fehler?« Lara betrachtete ihr Gegenüber genauer. Sie wirkte kindlich.
»Das mit dem Zettel!« Die junge Frau zog mehrfach die Nase hoch.
»Waren Sie das?« Keine Antwort, stattdessen ein ängstlicher Blick zu der Älteren, gefolgt von einem kaum sichtbaren Nicken. »Es war richtig.« Lara beugte sich zu Romain Holländer herab. Es widerte sie an, den Körper des Sektenführers zu berühren, aber ihr blieb keine Wahl. Der Schlüsselbund war in seiner rechten Hosentasche. Noch ehe die Frau neben ihm protestieren konnte, hatte Lara ihn schon herausgezogen, war aufgesprungen und hetzte in Richtung Keller. Auf der Treppe wäre sie fast hingefallen, und trotz ihrer Eile wurde sie den Gedanken nicht los, dass es die Krönung des Ganzen wäre, wenn sie jetzt diese Treppe hinabstürzte und sich etwas brach. Oben der bewusstlose Sektenführer, am Fuß der Treppe Lara Birkenfeld mit gebrochenen Beinen, im Kellerverlies ein oder mehrere Opfer des Todsünden-Mörders.
Der dritte Schlüssel passte. Hinter der Zwischentür war der Teppich violett. Die Luft roch nach Weihrauch und etwas, das Lara nicht identifizieren konnte. Links und rechts befanden sich jeweils drei Türen. Sie blieb kurz stehen, um zu lauschen, und hörte ihren eigenen Herzschlag im Kopf dröhnen, ehe das Klopfen – kurz, kurz, kurz, lang, lang, lang, kurz, kurz, kurz – wieder einsetzte. Es kam von links. Einen Fuß vor den anderen setzend und den Kopf wie ein wachsamer Vogel nach vorn gereckt, tappte Lara voran und lauschte. Wenn sie nicht alles täuschte, kam das Hämmern von der mittleren Tür. Sie klopfte, rief dabei Jos Namen und nestelte an dem Schlüsselbund. Das Pochen wurde zu einem Trommeln. Lara bemerkte nicht, dass ihr Tränen übers Gesicht liefen, als sie endlich den richtigen Schlüssel gefunden hatte und die Tür aufstieß.
Jo blinzelte und ließ die erhobene Faust sinken. Seine Augenringe wirkten in dem hereinfallenden Licht violett, die Haare waren zerstrubbelt und standen in alle Richtungen vom Kopf ab. Bis auf dunkelblaue Boxershorts war er nackt. Lara ließ sich von seinen Armen umschließen und atmete tief aus. Er roch nach Schweiß, aber das war ihr egal.
»Bist du allein hier?«
»Ja, aber es besteht keine Gefahr mehr. Wer hat dich hier eingesperrt?«
»Romain Holländer.«
»Der liegt oben mit einer Kopfwunde und ist bewusstlos.« Lara konnte ein Kichern nicht unterdrücken. »Wie lange bist du hier schon gefangen? Ich hab dein Auto in der Seitenstraße entdeckt.«
»Das erzähle ich dir später.« Jo löste sich von Lara. Von oben drang leises Sirenengeheul herauf. »Lass uns schnell in die anderen Räume schauen.« Er betrachtete den Schlüsselbund in ihrer linken Hand und drängte sie gleichzeitig auf den Gang hinaus. Es schien ihm nichts auszumachen, dass er fast nackt war.
»Glaubst du, er hat seine Opfer hier unten gefangen
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