Sündenkreis: Thriller (German Edition)
sie, dass Jo ihn selbst geschrieben hatte. Was aber war mit den elektronischen Botschaften? Lara blieb stehen und betrachtete die Natursteine in der Mauer links. Ihre Hand krabbelte wie von selbst in die Jackentasche und brachte das Handy hervor. Gleich würde sie versuchen, in die Holländer-Villa hineinzukommen. Vorher jedoch musste sie jemanden von ihrem Vorhaben informieren. Sonst fände man womöglich in ein paar Tagen zwei Autos von Mitarbeitern der Tagespresse in dieser Straße – beide verwaist und keine Spur von ihren Besitzern. Nervös wählte sie Marks Nummer.
Das eiserne Tor quietschte einmal ganz leise, als Lara dagegendrückte, dann bewegte es sich ein paar Zentimeter nach innen. Das Schloss war wohl, nachdem der Lieferwagen herausgefahren war, nicht wieder richtig eingerastet. In ihrem Ohr dröhnte noch immer Marks Stimme. Es hatte sich angehört, als müsse er sich beherrschen, sie nicht anzuschreien. Sie solle draußen bleiben und die Polizei verständigen, hatte er gesagt. Lara betrachtete die Fenster der Villa, während sie sich durch das Tor schob und es dann wieder zudrückte. Musste ja nicht gleich jeder sehen, dass es nicht richtig geschlossen war. Sie hielt sich seitlich am Rande des gekiesten Weges, den Blick auf die Villa gerichtet. Rhododendronzweige strichen über ihren Ärmel, es schien, als würden die eingerollten Blätter ihr zuflüstern, dass sie umkehren solle.
»Denk daran, was dir schon alles passiert ist! Fordere das Schicksal nicht heraus!«, hatte Mark gesagt. Während er auf ihre Zustimmung wartete, hatte Lara ihn atmen gehört. Was würde die Kripo schon tun? Sie konnten nicht einfach auf den Verdacht einer hysterischen Journalistin hin in die Villa eindringen. Das war Hausfriedensbruch. Wenn sie überhaupt erschienen, drohten endlose Diskussionen, die Besichtigung von Jos Auto am Straßenrand – wen interessierte der Schmutz von Tagen auf der Windschutzscheibe? – und Beschwichtigungsversuche. Sie konnte förmlich vor sich sehen, wie die Beamten sich amüsierte Blicke zuwarfen, die sie nicht bemerken sollte. Stunden würden vergehen, und am Ende würden die Bullen abfahren, nicht ohne ihr vorher klargemacht zu haben, dass Jo ein erwachsener Mann war, der tun und lassen konnte, was er wollte. Hatte sie Beweise dafür, dass er da drin war? Nein. Hatte er ihr nicht mehrere SMS und eine Mail geschrieben? Na bitte. Vielleicht hatte er auch das Interesse an ihr verloren und war mit einer anderen Frau unterwegs. Das würden sie nicht sagen, aber vermuten. Wiedersehen, Frau Birkenfeld. Marks Ratschlag war gut gemeint, aber sinnlos. Als er anfing, sie anzuflehen, hatte Lara mitten im Satz aufgelegt. Jo war da drin. Jo war in Gefahr. Lara musste da rein. So einfach war das. Sie war an der Eingangstür angekommen und ballte die rechte Hand zur Faust.
Das Dröhnen schien sich in der Luft zu vervielfältigen. Es hallte aus dem Garten zurück und prallte erneut gegen die massive Tür. Laras Fingerknöchel schmerzten. In ihrem Kopf wogte etwas Rotes. Kirschfarbene Flüssigkeit, die Spritzer über ein Rautenmuster zog .
Sie zog den Jackenärmel über die Faust und donnerte erneut gegen die Tür. Nachdem sie bis zehn gezählt hatte, presste sie das Ohr an das Holz und hielt die Luft an. Ein leises Stöhnen, dann ein wilder Aufschrei. Getrappel von eiligen Füßen. Lara trommelte jetzt mit beiden Fäusten.
Als die Tür abrupt geöffnet wurde, wäre sie fast kopfüber in den Eingangsbereich gefallen. Sie stolperte zwei Schritte über die Fliesen, strauchelte und konnte sich dann abfangen. Die Frau, die ihr geöffnet hatte, hielt sich nicht damit auf, sie zu begrüßen, sondern war schon wieder davongeeilt. Lara presste die Lippen aufeinander und folgte ihr. Was sie im Foyer erblickte, verschlug ihr den Atem.
Im Keller des Gebäudes hörte ein erschöpfter Mann das Getümmel über sich und begann, um Hilfe zu rufen.
42
Zuerst erkannte Lara in dem Durcheinander auf dem Fußboden gar nichts, nur dass alles rot war. Rot von Blut, hellrotem, frischem Blut. Das Rot flimmerte vor ihren Augen. Mehrere Personen – Frauen – huschten wie aufgeschreckte Mäuse planlos hin und her. Eine von ihnen rang unentwegt die Hände und schluchzte dabei. Eine zweite rutschte auf dem Blutteppich aus und wäre fast gestürzt. Die dritte der Frauen – Lara hatte sie schon mehrmals gesehen, wusste aber nicht, wie sie hieß – kniete neben dem Mann, der auf den rot gefärbten Steinfliesen lag, und beugte
Weitere Kostenlose Bücher