Sündenkreis: Thriller (German Edition)
ihr einen Vogel zeigte.
Lara schaltete das Diktiergerät aus, wartete, bis die Autotür hinter ihr zugefallen war, und atmete tief durch. Die Stille war himmlisch. Von all dem Gackern, Gurren und Kollern schwirrte ihr der Kopf. Bei manchen Vögeln hatte sie zuerst gar nicht erkannt, von welcher Spezies sie ursprünglich abstammten. Die Besitzer schienen jedoch unheimlich stolz auf ihre Züchtungen zu sein. Sie hatten ihr bereitwillig Auskunft gegeben und die Vorzüge ihrer Tiere jeweils in den höchsten Tönen gelobt, während Lara sich die ganze Zeit innerlich ermahnt hatte, nicht zu kichern. Beim Schreiben würde sie achtgeben müssen, die Schilderungen nicht lächerlich wirken zu lassen. Sie schaute auf ihr Handydisplay. Nur ein Balken. Es hatte keinen Sinn, Mark von hier aus noch einmal anzurufen und ihn zu fragen, was er mit »eingefroren« gemeint hatte. Das Mobiltelefon landete neben der Handtasche auf den Beifahrersitz. Lara gab Gas.
Der Radiosprecher verkündete die aktuellen Staus und Blitzer in Leipzig. Es war noch nicht einmal Mittag, und sie hatte sich bis fünfzehn Uhr ausgetragen. Ausreichend Spielraum, um vor der Rückkehr in die Redaktion schnell bei Rootdesign vorbeizuschauen. Das war das Schöne an diesem Beruf. Man konnte sich die Zeit bei Recherchen frei einteilen. Wenn nicht jemand aus der Redaktion anrief und sie zu irgendeinem neuen Termin bestellte. Aber dann konnte sie ja so tun, als käme sie gerade erst von der Geflügelausstellung. Vielleicht erwischte sie ein paar von Carolin Fresnels Kollegen.
Vor den Buchnerschen Stiftungen waren sämtliche Parkplätze belegt. Lara fuhr zwei Runden, bis direkt vor ihrer Nase ein dicker Audi ausparkte. Nachdem sie sich in die Lücke geschachtelt hatte, kramte sie die Gästeliste von Torben Hoffmann hervor und studierte die Seiten. Der junge Designer hatte ihr den Gefallen getan und hinter die Namen die Funktionen der jeweiligen Personen aufgeschrieben. Seine Familienmitglieder und Freunde konnte sie weglassen. Erstens würden sie nichts über Carolin Fresnel wissen, zweitens hielten sie sich nicht in der Hochschule auf. Sie unterstrich diejenigen, hinter denen »Model« stand, und versuchte gleichzeitig, sich die Namen einzuprägen. »Tor B. Hoff«, das aufstrebende Nachwuchstalent, hatte in seiner Show keine Männerkleidung vorgestellt.
»Sie sind Nele?« Das Mädchen mit der grobgestrickten Schlumpfmütze nickte. Sie war ungeschminkt und wirkte mit ihren dunklen Augenringen eher wie eine Cracksüchtige denn wie ein Model. Ihre Kollegin hieß Mira und sah nicht minder blutarm aus. Beide trugen Oversize-Pullis und schmale schwarze Stoffhosen, dazu High Heels, in denen Lara keinen Schritt hätte gehen können.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich unser Gespräch aufnehme?« Nele schüttelte den Kopf. Die Schlumpfmütze wippte hin und her.
»Schreiben Sie über uns?« Miras Augen leuchteten bei der Frage. Bis auf die Professoren schien es bei Rootdesign nur publicitygeile Menschen zu geben.
»Mal schauen. Im Moment recherchiere ich lediglich.« Lara legte Diktiergerät und Notizbuch auf den schmalen Tisch. Sie hatte keine Lust, die beiden zu hofieren. Ihre Laune war im Keller. Sie dachte kurz an die Rassegeflügelausstellung und betrachtete dabei die dürren Beine der beiden Bohnenstangen. Eine Hühnerschau jagte die nächste.
»Wie gut kannten Sie Carolin?«
»Es ging so. Ab und zu hatten wir gemeinsame Jobs.« Mira war eindeutig die kommunikativere von beiden. Ihre Freundin, »Schlumpfmütze« Nele, hatte noch nicht ein Wort gesagt. Ihr Beitrag zum Gespräch bestand lediglich aus Bewegungen: Nicken, Kopfschütteln, ab und zu eine kleine Geste.
»Wann haben Sie sie denn zuletzt gesehen?«
»Das muss so Ende Januar gewesen sein, nicht?« Mira kratzte sich am Haaransatz und wartete auf Neles Reaktion, doch die starrte mit einem Schafsblick auf Laras Diktiergerät. Hatte sie Beruhigungsmittel genommen? »Wir hatten in der ersten Februarwoche zwei Anproben mit Torben. Ich glaube nicht, dass sie dabei war, oder?« Mira versetzte ihrer somnambulen Freundin einen Stoß gegen den Oberarm. Diese erwachte aus ihrem Tagtraum und bewegte den Kopf in Zeitlupe von links nach rechts. Jetzt war sich Lara sicher, dass Schlumpfmütze etwas eingeworfen hatte.
»Ist es denn nicht üblich, dass die Models so kurz vor der Show zu den Anproben anwesend sind?«
»Eigentlich schon. Aber Caro war etwas Besseres. Sie konnte sich das erlauben.« Miras Stimme hatte jetzt
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