Sündenkreis: Thriller (German Edition)
das bevorstehende Gespräch nach. Der Kunde hatte letzte Woche in der Firma angerufen und um einen Beratungstermin gebeten, wobei er sich auf einen Bekannten berufen hatte, der bereits Klient von Immoconcept war. Die Firma, für die Robert arbeitete, vermittelte den Kontakt zwischen Bauträgern und zahlungskräftigen Kunden. Ganz uneigennützig war das nicht, aber die meisten Kunden bekamen gar nicht mit, dass Immoconcept kräftig absahnte und Provisionen sowohl von den Bauträgern als auch von den Finanzvermittlern kassierte.
Robert kannte den Mann, der sich als »Doktor Randerath« vorgestellt hatte, nur als Stimme am Telefon, aber es war nichts Ungewöhnliches, dass Neukunden sich auf Empfehlung anderer hin bei ihm meldeten. Es war auch nicht ungewöhnlich, sich beim ersten Mal nicht im Büro sondern gleich bei einem der Objekte zu treffen.
Robert Wessel strich mit der behandschuhten Rechten liebevoll über den royalblauen Lack seines Q7, warf den Handfeger in den Kofferraum und stieg ein. Der Himmel hinter dem Einkaufscenter hatte sich von aschgrau in bleigrau umgefärbt. Nicht mehr lange, und die Dunkelheit würde alles mit weichen Schatten verhüllen. Er musste sich beeilen.
Doktor Randerath hatte keinen Termin vor 16:30 Uhr finden können, und sie würden so oder so nicht mehr alle Details des zu sanierenden Objektes sehen können, aber es würde dem Klienten hoffentlich reichen, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen.
Auf der Fahrt durch die Stadt repetierte Robert Wessel die Informationen, die er bisher hatte. Es machte keinen guten Eindruck, wenn man alles ablesen musste. Der Kunde war Apotheker in Halle und auf der Suche nach Objekten, in die er investieren konnte. Denkmalgeschützte Wohnhäuser waren eine gute Anlagemöglichkeit. Die Kunden von Immoconcept investierten ihr Geld in die Sanierung und konnten einen großen Teil der Kosten von der Steuer abschreiben. Hier im Osten gab es auch zwanzig Jahre nach der deutschen Einheit noch genug Immobilien, die den Vorgaben entsprachen. Immoconcept hatte eine Vielzahl von Anlageobjekten im Portefeuille, doch Doktor Randerath hatte bereits konkrete Wünsche geäußert. Ihn interessierte nur ein einziges Gebäude, ein vierstöckiges Gründerzeithaus in Gohlis, das seit Jahrzehnten vor sich hin rottete. Die Bausubstanz war marode, aber man konnte etwas daraus machen. Und wenn es ihm nicht gefiel – auch kein Problem. Robert hatte sicherheitshalber noch die Exposés zweier anderer Objekte mitgenommen.
Robert Wessel bremste sanft, parkte vor dem Nachbarhaus und betrachtete das »Anlageobjekt«. Das Gebäude sah im Weichzeichner des Flockenwirbels unwirklich aus, wie eine Illustration aus einem Märchenbuch, so als ob es darin spukte. Die dunklen Fenster blickten unwirsch auf die gepflasterte Straße herab, der in Stein gehauene Löwenkopf über dem Eingangsportal fletschte die Zähne. Lautlos glitten die Scheibenwischer über die Frontscheibe und fegten Schneestaub beiseite.
Robert Wessel schüttelte das unbehagliche Gefühl ab und sah auf die Uhr, ehe er die Fahrertür öffnete. Kurz nach halb fünf. Hoffentlich war der Doktor pünktlich. Er stapfte durch den mittlerweile zentimeterhohen Schnee und stellte sich gut sichtbar vor das Portal, direkt unter den grimmigen Löwenkopf.
Fünf Minuten später hielt auf der anderen Straßenseite ein dunkler Škoda Superb, blieb ein paar Sekunden stehen, wendete dann und parkte hinter Robert Wessels Auto. Der Fahrer vermummte sich mit Mütze und Schal, ehe er ausstieg, sich umsah, und dann herüberkam.
Robert klemmte die Mappe unter den linken Arm und während er dem Kunden entgegenlächelte, prüfte er unauffällig dessen Aufmachung. Die Lammfelljacke sah nach mindestens tausend Euro aus, der Schal zeigte das typische Burberry-Karo, die Schuhe hatte Robert neulich selbst bei Bally anprobiert. Die Armbanduhr war nur für einen winzigen Moment unter den Ärmelaufschlägen hervorgeblitzt, aber Robert hatte genug gesehen.
Hätte man ihn später gefragt, wie Doktor Randerath ausgesehen habe, ob ihm irgendwelche markanten Gesichtszüge aufgefallen seien, so hätte Robert Wessel darauf nicht antworten können. Er wusste lediglich, dass die schwarzen Stiefel des Doktors von Cesare Paciotti waren, im Laden dreihundertfünfzig Euro kosteten und der Koffer, der lässig von des Doktors linker Hand baumelte, von Louis Vuitton war.
All das reichte vollkommen, um zu erkennen, dass der Klient kein armer Mann war und es
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