Sündenkreis: Thriller (German Edition)
sah Margaret Rutherford vor ihrem inneren Auge, wie sie sich mit Schwung einen Schal über die Schulter warf, und lächelte.
»Oh … so schnell. Ab wann?«
»Ich habe bis sechzehn Uhr Dienst.« Schritte näherten sich, und Lara sprach leise weiter. »Die sogenannte › Gemeinde ohne Mauern ‹ will mich ab sechzehn Uhr dreißig empfangen.« Markus Lehmann erschien in der Küchentür. Seine Nasenflügel bebten leicht. Jo nickte Lara zu und begann, ohne die Stimme zu heben, mitten in einem Satz. »… das war gar nicht so einfach. Bei diesem Schnee kommt man mit dem Auto auch nicht überall hin. Aber ich habe trotzdem super Fotos von der weißen Pracht. Möchten Sie auch Kaffee trinken?« Er sah dem Praktikanten direkt in die Augen.
»Nein, ich … ich wollte mir bloß eine Cola holen.« Markus Lehmann langte in den Kasten neben dem Kühlschrank und schlich hinaus. Lara verkniff sich ein Grienen und malte mit dem Zeigefinger die Buchstaben » SMS « auf die Arbeitsfläche. Das hieß, sie würde sich mit Jo per Handy verabreden. Dann legte sie den Finger auf die Lippen, schnappte sich ihre Teetasse und ging zurück an ihren Platz.
»Ich habe ein bisschen recherchiert. In Deutschland soll es derzeit über sechshundert verschiedene Sekten und religiöse Gemeinschaften geben.«
»Ganz schön viel.« Jo fuhr zu schnell um die Kurve, und Lara hielt sich an dem Griff über der Beifahrertür fest.
»Es gibt so ziemlich alles, christliche Vereinigungen, Jugendsekten, esoterische Gruppen, Psychogruppen, hinduistische und islamische Gruppierungen.«
»Wie definieren die eigentlich den Begriff ›Sekte‹?« Hinter ihnen hupte es, und Jo schüttelte den Kopf.
»Laut Herrn Reinmann wird der Begriff auf zwei unterschiedlichen Ebenen benutzt. Aus theologischer Sicht bezeichnet man damit eine Abspaltung von einer großen Kirche. Er hat noch viel mehr dazu gesagt, aber ich kürze ein bisschen ab.« Sie sah hinüber zu ihrem Freund. Jo schaute nach vorn und fummelte mit der Rechten am Radio herum.
»Dann gibt es noch den umgangssprachlichen Sektenbegriff. Den verwenden zum Beispiel private Fernsehsender und Boulevardmedien.«
»Die Tagespresse gehört da natürlich nicht dazu.« Es klang ironisch.
»Aber nicht doch.« Lara kicherte. »Jedenfalls ist der Begriff tückisch, vor allem, wenn man mit den Gruppenmitgliedern selbst spricht. Reinmann findet es sachgemäßer, von ›Sondergemeinschaft‹ oder ›Religionsgemeinschaft‹ zu sprechen, zur Not auch von einer ›konfliktträchtigen Gruppe‹. Damit vermeidet man den Stempel ›Sekte‹.«
»Zu welchem Bereich gehören die, zu denen wir jetzt fahren?«
»Sie nennen sich › Gemeinde ohne Mauern ‹.« Lara betrachtete ihre Notizen, ehe sie weitersprach. »Laut Reinmann ist es eine ›freicharismatische‹ Gruppe, die durch Singen, Tanzen, Klatschen und Jubeln bei ihren Gottesdiensten versucht, den Heiligen Geist zu erfahren.«
»›Freicharismatisch‹, hm? Klingt irgendwie amerikanisch. Gibt es auch einen Gospelchor?« Jo grinste.
»Weiß ich nicht. Angeblich reden sie auch in Zungen.«
»Wie aufregend!«
»Wenn du meinst. Ein Ehepaar aus den USA hat die Gemeinde gegründet. Inzwischen gibt es Anhänger in den Benelux-Staaten und in der Schweiz. In Sachsen sind sie vor allem im Westerzgebirge und Vogtland aktiv.«
»Und hier in Leipzig. Da wären wir.« Jo hielt am Straßenrand und spähte aus dem Fenster. »Sieht aus wie ein normales Wohnhaus.« Er stieg aus und Lara folgte ihm. Der Ziegelbau stammte aus den dreißiger Jahren, am Klingelbrett stand »GoM«.
»Lass mich reden. Du hältst dich im Hintergrund.«
»Und ich soll Fotos machen?«
»Wenn sie es erlauben, machst du ein paar Alibibilder. Eigentlich aber hätte ich gern, dass du auf alles achtest, was interessant sein könnte. Die Räumlichkeiten, auffällige Details. Wie sehen die Leute aus, wie geben sie sich. Sind sie offen? Vergiss nicht – wir sind nicht dort, um eine Reportage über sie zu machen, auch wenn wir das als Grund vorschieben.« Lara schaltete das Diktiergerät in ihrer Tasche ein und läutete.
»Das war wohl nichts.« Jo schaute auf seine Armbanduhr. »Wir stehen jetzt seit sechs Minuten hier, du hast viermal geklingelt und niemand macht auf.«
»Es ist jemand da! Ich habe gesehen, wie die Gardine gewackelt hat.« Lara zeigte auf das rechte Fenster im Erdgeschoss. »Außerdem war die Frau am Telefon ganz freundlich. Sie haben mich doch auf sechzehn Uhr dreißig herbestellt!«
»Kann
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