Sündenkreis: Thriller (German Edition)
rauschte, und er drückte auf den Sendersuchlauf.
Lara schniefte. Wie dramatisch das klang! Aber er hatte recht. Womöglich war die ganze Theorie, dass der Mörder von Carolin Fresnel und Nina Bernstein Mitglied einer Sekte war, falsch, und es war genauso unwahrscheinlich, dass sie hier fündig wurden. Was aber, wenn es der Zufall wollte, dass sie an der richtigen Stelle waren; wenn sie, ohne es zu wissen, in ein Wespennest stachen?
Vor ihnen schaltete eine Ampel auf Rot, und Jo hielt hinter einem BMW . Dann zog er an einem Kabel, das aus einer Ablage unter dem Radio hing. Ein kleiner Bildschirm kam zum Vorschein. Es sah aus wie winziges Navigationsgerät, nur dass das Bild schwarz-weiß war und eine Art Fieberkurve zeigte.
»Was ist das denn?«
»Ein Frequenzscanner.« Die Ampel schaltete auf Grün, und Jo gab vorsichtig Gas, während er auf die Knöpfe an dem Scanner drückte. Aus dem Radio kamen knisternde Laute.
»Und wozu brauchst du den?«
»Polizeifunk.«
»Du hörst den Polizeifunk ab?«
»Genau.«
»Ist das nicht verboten?«
»Nein. Laut Fernmeldeanlagengesetz kann man alles abhören. Man darf es nur nicht nutzen oder an Dritte weiterleiten. Die Polizei funkt im Vier- und Zweimeterband, also über und unter dem Rundfunkband. Die passenden Frequenzen findet man im Netz. Als freier Fotograf muss man möglichst als Erster an Ort und Stelle sein.«
»Aber das Fernmeldeanlagengesetz gilt doch mittlerweile gar nicht mehr. Es wurde vom Telekommunikationsgesetz abgelöst. Und danach ist das unbefugte Abhören von Nachrichten strafbar.« Fasziniert beobachtete Lara das Display. Es prasselte, dann ertönte eine schnarrende Stimme aus dem Radio.
»Du weißt aber auch alles. »Jo grinste kurz und fuhr dann fort. »Wo kein Richter, da kein Kläger. Pst.« Er legte den Finger auf die Lippen.
»An alle Einheiten … Commerzbankfiliale Riebeckstraße.« Es knisterte erneut, dann war der Empfang kurz weg. »Scheiß Funklöcher!« Jos Finger trommelten auf das Lenkrad. Er fuhr siebzig. Lara versuchte sich zu erinnern, ob es hier irgendwo stationäre Blitzer gab, und dachte gleichzeitig darüber nach, ob sie gerade der Meldung eines Banküberfalles zuhörte, aber die nächsten Satzfetzen belehrten sie eines Besseren.
»… lebloser Mann … mit hoher Wahrscheinlichkeit tot …«
»Oh, ein Leichenfund!« Jo rieb sich heftig mit den Fingern über die Stirn und warf Lara dann einen schnellen Blick zu. »Ich weiß, wo das ist. Ein Stückchen hinter der Einmündung der Prager Straße. Liegt praktisch auf dem Weg.« Sie konnte sehen, wie sein Adamsapfel beim Schlucken auf und ab glitt.
»Willst du hin?«
»Es könnte interessant sein.« Er prustete. Die Zerrissenheit war ihm förmlich anzusehen. Einerseits hatte er Lara versprochen, mit ihr zu der Sekte zu fahren, andererseits verpasste er hier womöglich ein lukratives Geschäft.
»Dann fahr hin.« Lara verkniff sich ein Lächeln, als sie sah, wie erleichtert er war. Sie konnte dem Sektenführer einen weiteren Termin vorschlagen, bei dem ein Fotograf mitkommen würde. Vielleicht war das sogar besser als ihr ursprüngliches Vorhaben, Jo unangekündigt mitzubringen. »Gleich um die Ecke ist der S-Bahnhof Stötteritz. Ich fahre mit der Bahn weiter nach Markkleeberg.«
»Ich könnte dich nachher auch da abholen und zum Parkhaus fahren. Oder nach Hause. Wie du willst.« Das schlechte Gewissen ließ ihn schneller reden als sonst.
»Schauen wir mal. Von dort fährt auch eine Straßenbahn zurück in die Innenstadt.« Der Tacho zeigte schon wieder siebzig Stundenkilometer. Jo hatte es jetzt anscheinend noch eiliger. »Und du weißt doch auch noch gar nicht, wie lange du da brauchst.«
»Sicher nicht so lange wie du bei deinem Gespräch – sofern der Typ gesprächiger ist als die anderen. Ich versuche, so nah wie möglich an die Bankfiliale heranzukommen und so viele Fotos wie möglich zu schießen. Das geht eigentlich schnell. Hoffentlich bin ich der Erste.« Jo bog auf die Prager Straße ab. Der Honda schlingerte.
»Ich rufe dich an.«
Das Auto hielt am Straßenrand und Lara schnappte sich Handtasche, Mantel und Schal und öffnete die Tür.
»Bis nachher! Sei vorsichtig!« Sie hatte kaum Zeit zu nicken und die Tür zu schließen, weil Jo so schnell davonrauschte. Lara sah ihm nach und machte sich dann auf den Weg zur S-Bahn. Den Toten in der Bankfiliale hatte sie schon wenige Minuten später vergessen.
Die Schneewälle an den Gehwegen waren fast einen halben Meter
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