Sündenkreis: Thriller (German Edition)
hoch. Man konnte die Straße nur an einigen Stellen überqueren. Nicht jeder Anwohner hielt sich an die vorgeschriebene Räum- und Streupflicht. Lara stapfte vorsichtig durch den Schnee und bestaunte dabei die Villen hinter den Zäunen. Die Straßenlampen tauchten alles in ein unwirkliches gelb-oranges Licht. Erker, Türmchen, Säulen, Schnitzereien, steinerne Zeugen einer vergangenen Zeit; das Ganze inmitten riesiger Grundstücke. Auf Sträuchern und Bäumen türmten sich Schneehauben, jede Zaunlatte trug ein weißes Mützchen. An Vogelhäuschen balgten sich Spatzen und Meisen um Futter.
Vor dem Tor mit der Nummer 17 blieb Lara stehen. Der Garten war parkähnlich, mit majestätischen Rhododendronbüschen, meterhohen Koniferen, alten Buchen und Eichen. Die mächtige Villa verbarg sich halb hinter den Bäumen, nur das Obergeschoss und Teile des mittleren Flügels lugten hervor. Die Fenster leuchteten wie strahlende Augen in die Dunkelheit. Sauber freigeschaufelte Wege führten zu Haupt- und Seiteneingang und zu den Mülltonnen. Im Frühjahr, wenn hier alles grünte und blühte, musste die Anlage prächtig sein. Lara betrachtete das zweiflügelige schmiedeeiserne Tor, von dem eine geschwungene Auffahrt hinüber zum Eingangsportal führte. Die gemauerte Säule neben der Eingangspforte präsentierte neben einer Klingel eine Wechselsprechanlage und ein Videoauge. Am Namensschild stand »Holländer« und darunter Kinder des Himmels . Lara sah auf ihre Uhr, streckte dann den Zeigefinger aus und berührte den Knopf. Sie hatte ein Geräusch erwartet; ein fernes Klingeln, Summen oder ein melodisches Glockenspiel, aber alles blieb stumm. Hinter einem der Fenster huschten dunkle Schatten hinter den Gardinen vorbei und Lara lockerte ihren Schal, der sich wie von allein immer fester um ihren Hals gewickelt hatte. Über ihr blinkten die Sterne, im Schnee funkelten Millionen bläuliche Diamantsplitter.
Als sie gerade die Hand ausstreckte, um erneut zu klingeln, ertönte ein Knacken aus der Wechselsprechanlange, jemand räusperte sich, und dann schnarrte eine Frauenstimme ein ärgerlich klingendes »Ja bitte?«.
»Lara Birkenfeld von der Tagespresse . Ich habe einen Termin bei Herrn Holländer.«
»Ach ja. Kommen Sie herein.« Es summte, und Lara stieß das Tor auf. Im gleichen Augenblick flammte das weiße Licht eines Bewegungsmelders auf und erleuchtete ihren Weg zum Gebäude.
Fünf Stufen führten zum Portal hinauf. Über der reich geschnitzten Tür fletschte ein steinernes Fabelwesen seine Zähne. Lara hatte keine Zeit, die Architektur weiter zu bewundern, denn noch ehe sie die Tür erreicht hatte, schwang diese schon auf, und ein großer, schlanker Mann in weißen Hosen und weißem Hemd trat heraus und streckte ihr die Hand entgegen. »Frau Birkenfeld!« Eine warme Handfläche berührte ihre Rechte. »Es ist mir ein Vergnügen, Sie bei uns begrüßen zu dürfen! Ich bin auch erst seit wenigen Minuten wieder hier.« Er verneigte sich knapp, schwenkte den Arm nach innen und folgte Lara in den Vorraum.
»Sie möchten sicher ablegen?« Noch ehe sie nicken konnte, gab der Mann einer hinter ihm stehenden Frau ein Zeichen, diese trat hervor und griff nach Laras Mantel und Schal.
»Ich schlage vor, wir gehen zuerst in mein Büro.« Wieder wartete Romain Holländer nicht, sondern vollführte eine elegante Drehung auf dem Absatz und ging nach rechts, während er über die Schulter weiterredete. »Dort können wir in Ruhe miteinander sprechen und Sie können Ihre Fragen loswerden.« Er öffnete eine drei Meter hohe Eichentür und marschierte voran. »Einen Tee?«
»Gern.« Lara folgte ihm und noch ehe sie sich umsehen konnte, wurde auch schon die Eichentür hinter ihr geschlossen. Der Raum, in dem sie sich jetzt befand, war anscheinend eine Art Bibliothek. Bis an die Decke reichende Bücherschränke, ein monströser Schreibtisch auf Löwentatzen. Die Fenster hinter den schweren Vorhängen reichten bis zum Boden.
»Nehmen Sie Platz. Der Tee kommt gleich.« Romain Holländer setzte sich in einen breiten Ledersessel, schlug die Beine übereinander und musterte Lara eindringlich. Sie hatte das Gefühl, der Blick des Mannes schmelze sich durch Haut und Knochen des Schädels bis direkt in ihr Gehirn und taste nach ihren Gedanken. Solch ein intensives Blau hatte sie noch nie gesehen. Trug er Kontaktlinsen? Lara zwang sich, die Augen abzuwenden.
»Wir freuen uns, dass die Tagespresse eine Reportage über die Kinder des Himmels bringen
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