Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Und bei einem Glas Wein geht das besser als hier in diesem Blechkasten.«
»Na gut. Aber höchstens eine Stunde. Ich möchte morgen früh in der Redaktion nicht in den Seilen hängen.« Sie musste in Bestform sein, wenn sie Tom ihre Stellungnahme zu der Abmahnung auf den Tisch legte.
»Super.« Jo schnallte sich an.
Lara wandte sich ab und schob das Mobiltelefon in die Manteltasche. Die Finger stießen auf etwas Hartes und tasteten. Glatte Oberfläche, dünn und rechteckig. Weder ein Schlüssel, noch das Diktiergerät. Sie griff zu, zog das unbekannte Objekt hervor und schaute dann verblüfft auf das mehrfach gefaltete Blatt.
»Was hast du denn da?«
»Sieht aus wie ein Zettel.« Die Finger nestelten das Papier auseinander und Lara überflog die Zeilen. »Das muss mir dort drin jemand in die Manteltasche gesteckt haben, während ich bei diesem Holländer im Büro saß.«
»Was steht denn da?« Jo hatte sich herübergebeugt.
Lara hörte sein Atmen, und die Hitze wallte erneut in ihrem Gesicht auf. »Achten Sie auf den Keller!«
Rhythmisches, dumpfes Schaben weckte Lara aus ihrem wirren Traum. Sie sah an die Zimmerdecke. Draußen schippte jemand Schnee. Kein Lichtstrahl drang herein. Es musste sehr früh am Morgen sein, ihr Wecker hatte noch nicht geklingelt. Sie schloss die Augen und öffnete sie im gleichen Moment wieder. Neben ihr atmete jemand.
Noch bevor sie erschrecken konnte, kam die Erinnerung heraufgesprudelt: der schwere Wein, die Wärme in dem Lokal, die Gespräche der anderen, leises Gelächter, Kerzenschein. Jo hatte ihr von seiner Entdeckung beim Filmen der Leiche aus der Bankfiliale erzählt und dass er glaubte, etwas, das wie Schrift aussah, auf der Stirn des Toten entdeckt zu haben. Er würde gleich morgen den Film Bild für Bild auswerten, um herauszufinden, ob er recht hatte. Seine Augen hatten gefunkelt, als er gesagt hatte: »Weißt du, was das bedeutet?« Sie wusste es. Natürlich. Da draußen war ein verrückter Serientäter am Werk. Jemand, der Frauen und Männer ermordete und ihnen Texte auf Stirn und Rücken tätowierte.
Und dann waren sie aufgebrochen und zu Jo gefahren. Er hatte gar nicht gefragt, ob sie zu sich nach Hause wollte, sondern war einfach davongebraust, wie immer zu schnell, und Lara hatte nicht dagegen protestiert. Sie war ein wenig beschwipst gewesen und wenn sie ehrlich war, auch ein wenig geil. Ziemlich geil. Lara verdrehte in der Dunkelheit die Augen. Jo schien es genauso gegangen zu sein. Seit Monaten fragte sie sich, ob er tatsächlich etwas von ihr wollte, oder ob sie sich das nur einbildete. Der Alkohol schien ihm die Hemmungen genommen zu haben. Oder war es einfach eine willkommene Gelegenheit gewesen? Der Rotwein, den sie beide in Jos Küche getrunken hatten, schien ihren Widerständen endgültig den Garaus gemacht zu haben, und wenig später waren sie im Bett gelandet. Lara rieb sich über die Stirn und ließ die Hand dann über ihren nackten Körper gleiten. Nicht, dass es nicht schön gewesen wäre, aber war es auch das Richtige gewesen?
Jo schnaufte und drehte sich dann um. Sie überlegte, ob sie ihre Sachen zusammensuchen und gehen sollte, bis ihr einfiel, dass ihr Mini noch immer im Parkhaus neben der Redaktion stand. Sie dachte an die Ratschläge ihrer Freundin Doreen. »Stell dir euch beide im Bett vor. Und dann frag dich: Fühlt es sich richtig an?«
Fühlte es sich richtig an? Lara starrte in die Dunkelheit. Sie wusste es nicht. War das nicht ein Indiz dafür, dass es nicht passte? Sie musste Abstand gewinnen, um in Ruhe darüber nachdenken zu können.
24
»Ich gehe heute etwas eher.« Gerda Saibling schloss alle Programme und fuhr den Rechner herunter. »Ich muss noch einkaufen, und um vier habe ich einen Friseurtermin.« Sie strich sich über die Löckchen und schüttelte sie dann. »Färben und nachschneiden.«
Sibylle Leitsmann schaute von ihren Akten auf. »Na sicher doch. Du hast doch bestimmt genug Überstunden zum Absetzen?«
»Immer.« Gerda Saibling sortierte die Dinge in ihrer Handtasche und erhob sich dann. »Wann kommst du morgen?«
»Gegen zehn. Ich habe morgen früh einen Termin bei einer unserer Langzeitklientinnen.«
»Dass du immer so eifrig mit den Hausbesuchen bist …«
»Das lässt sich in diesem Fall nicht vermeiden. Ich betreue die Familie schon seit anderthalb Jahren, und es ist mal wieder Zeit, vorbeizuschauen. Viel Spaß beim Einkaufen!« Sibylle Leitsmann winkte kurz und neigte den Kopf wieder über die
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