Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Papiere.
Mit einem Klacken fiel die Tür ins Schloss. Im Korridor roch es nach Bohnerwachs und ranzigem Fett. Gerda Saibling rümpfte die Nase und ging schneller. Seit Jahren versuchten die Reinigungskräfte, den Geruch zu bekämpfen, aber er kam immer wieder.
Sie war allein im Fahrstuhl. Die Türen klapperten beim Schließen, dann ging es abwärts. Der Eingangsbereich war fast leer, auf einem der Klappsitze an der rückwärtigen Wand saß ein mit Schal und Mütze vermummter Mann, daneben eine junge Frau mit Kinderwagen. Am Glasschalter stand ein dünner Kerl, der unter den Augen und am Hals tätowiert war. Wahrscheinlich war er auch an allen möglichen anderen Stellen tätowiert. Gerda Saibling dachte »Assi«, nickte dem Kollegen hinter dem Schalter zu und ging hinaus.
Eisiger Wind fauchte ihr entgegen, Schneeflocken wirbelten auf und ab, wurden herangeweht und peitschten ihr ins Gesicht. Gerda Saibling zog den Strickschal über den Mund und ärgerte sich zum wiederholten Mal über ihre Halbstiefel. Sie sahen schick aus, aber die Sohlen waren glatt wie Schmierseife. Vielleicht sollte sie sich tatsächlich ein Paar dieser klobigen Moonboots für den Winter zulegen. Im Amt konnte sie die ja dann wieder gegen ihre modischen Stiefeletten eintauschen.
Der Schnee dämpfte alle Geräusche. Auf dem Parkplatz war nicht geräumt, und Gerda Saibling nahm sich vor, sich über den Hausmeisterdienst zu beschweren. Auch wenn es ununterbrochen schneite, mussten sie räumen. Und zwar nicht nur den schmalen Gehweg vor dem Amt und die Stufen zum Eingang, sondern auch auf dem angrenzenden Parkplatz. Dafür wurde die Firma schließlich bezahlt.
Ihr Auto stand ziemlich weit vom Haupteingang entfernt zwischen zwei Schneewällen. Gerda Saibling dachte an ihren Einkaufsbummel und dass sie sich einen neuen Schal und vielleicht das eine oder andere Kleidungsstück kaufen würde. Das Ganze mit frisch gestylten Haaren. Sie lächelte zufrieden, schloss das Auto auf und griff nach dem Handfeger, mit dem sie den Wagen abkehren wollte.
Im Aufrichten sah sie, dass der mit Schal und Mütze vermummte Mann vom Foyer in ihre Richtung lief. Wahrscheinlich hatte er hier auch irgendwo geparkt. Gerda Saibling ging um ihr Auto herum und begann, den Besen zu schwingen.
Der Mann schwitzte. Das artete allmählich in Schwerstarbeit aus. Gestern hatte er diesen Schwächling von Immobilienberater entsorgt. Der Typ hatte mindestens neunzig Kilo gewogen. Er hatte lange nach einer abgelegenen Bankfiliale mit wenigen Wohnhäusern in der Nähe gesucht, die montags schon am frühen Nachmittag schloss, wenig frequentiert wurde und keine durchgängige Videoüberwachung hatte. Und trotzdem war es ein ziemliches Risiko gewesen, den toten Mann dort zu präsentieren. Die gefährlichsten Minuten waren die gewesen, in denen er die Leiche ausgepackt und vor dem Geldautomaten arrangiert hatte. Aber das Glück war ihm hold gewesen, und das hatte ihn in seinem Vorhaben bestärkt. Die Mächte waren mit ihm und wünschten, dass er seine Pläne zu Ende führte. Den restlichen Nachmittag bis in den Abend hinein hatte er seine Pflichten erfüllt, um dann gegen Mitternacht in einen komatösen Schlaf zu fallen, aus dem er kaum erholt erwacht war. Und doch durfte er sich keine Pause gönnen. Die Mächte hatten ihm zu verstehen gegeben, dass die Zeit drängte. Wer weiß, wie lange ihm noch bleiben würde, bis man ihm auf die Spur kam.
Deshalb war er heute gleich nach dem Mittag zu der Behörde geeilt, um seine Auserwählte nicht zu verpassen. Die Frau verließ das Jugendamt an manchen Tagen schon zeitig. Und so war es auch heute. Noch ein Beweis dafür, dass sie ihrer Tätigkeit gleichgültig gegenüberstand.
Sein Blut rauschte in den Ohren und er hörte sich selbst keuchen, während er die schlaffe Frau die Treppen hinunterschleifte. Die Auserwählte war ein schwerer Brocken. Sie wog mindestens so viel wie dieser geldgierige Immobilienhai. Aber er konnte sich schließlich seine Opfer nicht nach Körpergewicht aussuchen. Und dieses Mal würde er auch nicht die Zeit haben, die Delinquentin tagelang zu behandeln. Sie war erst die vierte, und weitere würden ihr folgen. Maximal zwei Tage mit ihr gab sich der Mann. Das würde reichen, um ihr ihre Verfehlungen vorzuhalten und die Ermahnungen in sie einzugravieren. Er wollte sein Werk vollenden. Die Polizei schlief nicht. Womöglich waren sie ihm schon auf den Fersen. Das Vorhaben, die Auserwählten vor ihrem Tod zur wahrhaftigen Reue
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