Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Wollteppich war weiß. Laras Augen brannten, und sie wandte sich ab. Ihr Blick fiel auf das weiße Hemd und die weiße Hose des Sektenführers. Seine Schuhe waren auch weiß. So viel zu »alles ganz normal«.
»Da hinten sind Schlafzimmer und Gästezimmer.« Er machte keine Anstalten, sie hinzuführen. »Und hier haben wir mein persönliches Arbeitszimmer.« Romain Holländer war inzwischen nach rechts gegangen und hatte eine weitere zweiflügelige Tür geöffnet. Er blieb im Rahmen stehen und ließ Lara hineinschauen. Hier gab es Bücherregale. Eine ganze Wand voll. Und einen Schreibtisch – weiß natürlich. Wahrscheinlich bedauerte er, dass die Buchrücken nicht auch weiß waren. Lara verkniff sich ein Grinsen.
»Genug gesehen? Auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs ist noch das Besprechungszimmer, aber das gleicht meinem Wohnraum.« Wieder funkelten die Augen und wieder hatte Lara das Gefühl, der Mann verspotte sie auf irgendeine, ihr nicht erklärliche Weise. »Dann gehen wir wieder nach unten.«
Er wartete, bis sie im Flur stand, und löschte dann das Licht.
»Es gibt doch bestimmt auch Zusammenkünfte aller Gemeindemitglieder?« Lara ging voran. Die Fenster im Treppenhaus bestanden aus Bleiglasscheiben mit Alltagsszenen in den leuchtendsten Farben.
»Ja sicher. Mittwochs haben wir eine gemeinsame Abendandacht, an der alle – auch die Kinder – teilnehmen. An den Wochenenden beginnen wir frühmorgens mit unseren Andachten, außerdem gibt es regelmäßige gemeinsame Speisungen.«
»Wo finden denn diese Andachten statt?«
»Im Gebetsraum im ersten Stock. Wir kommen gleich dahin.« Romain Holländer bog nach rechts in einen Gang mit Marmorsäulen ab. Eine Tür öffnete sich, und er blieb kurz stehen. »Hallo, Max.«
»Prinzipal.« Der junge Mann deutete eine Verbeugung an, sein Blick huschte über Laras Gesicht und senkte sich dann sofort, als habe er etwas Verbotenes getan. Er murmelte: »Bis gleich« und eilte in Richtung Treppe.
»Die Zimmer der Gemeindemitglieder kann ich Ihnen nicht zeigen. Das sind private Rückzugsräume, zu denen Besucher keinen Zutritt haben.«
»Das verstehe ich.«
»Und hier ist der Andachtsraum. Bleiben Sie bitte in der Tür stehen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis, dass ich Sie nicht hineinbitten kann, aber dieser Raum ist ausschließlich den Kindern des Himmels vorbehalten.« Romain Holländer öffnete die rechte Hälfte einer reich verzierten Tür und ließ Lara hineinsehen. Ihr Blick fiel zuerst auf die akkurat angeordneten Stuhlreihen, zwischen denen man in der Mitte einen Gang freigelassen hatte, und wanderte dann zum rückwärtigen Ende des Saales. Die drei Meter hohen Fenster waren nicht durch Vorhänge verhüllt und gaben so den Blick auf das prächtige Buntglasfenster in der Mitte frei, das eine hohe schmale Gestalt mit Heiligenschein zeigte. Davor stand ein flacher Tisch, der bis zum Boden von einem weißen Tuch verhüllt wurde. Auf ihm fanden sich links und rechts zwei Leuchter mit den gleichen weißen Altarkerzen wie in Romain Holländers »Wohnzimmer«. Ein Kreuz suchte Lara vergeblich. Es gab keinerlei liturgische Darstellungen, Bilder oder geschnitzte Figuren.
»So, es ist Zeit.« Romain Holländer griff an Lara vorbei nach der Türklinke. »Die Abendspeisung beginnt gleich.« Er zog die Tür ins Schloss. Feiner Weihrauchduft wehte heraus und erinnerte Lara an das vergangene Weihnachtsfest.
»Wie ich vorhin schon sagte – Sie sind herzlich eingeladen.« Lara folgte ihm die geschwungene Treppe hinab. »Hier entlang, bitte.« Sie waren im Foyer angekommen und schwenkten in den linken Seitenflügel ab. Lara beeilte sich, zu dem Sektenführer aufzuschließen. »Nutzen Sie auch die Kellerräume?« Romain Holländer erstarrte mitten in der Bewegung, drehte sich zu Lara um und musterte sie scharf. »Was meinen Sie mit ›nutzen‹?«
»Nun, ob dort auch Büro- oder Andachtsräume sind, zum Beispiel.«
Sein Gesichtsausdruck wechselte in schneller Folge von Überraschung zu Nachdenklichkeit und dann zu Ärger. Gleich darauf glätteten sich die Züge und wurden wieder zu der sanftmütigen netten Maske, die Lara schon die ganze Zeit gesehen hatte. »Nein. Dort sind lediglich Lagerräume.« Und es gibt keine Möglichkeit, dass ich diese besichtigen kann, was, mein Freund?
»So und hier ist unser Speisungsraum. Nach Ihnen.« Er öffnete die Tür, und Lara ging voran, den Blick auf die mindestens vierzig Leute gerichtet, die in Gruppen an schlichten Tischen
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