Suendenpakt
er ist viel gescheiter, als er aussieht, und er verliert nur selten.
Als Richter Rothstein in Khakihosen und weißem Hemd hereinkommt, sagen mir seine durchdringenden schwarzen Augen und seine lange, scharf geschnittene Nase, dass ich genau zu der Art von dämlichen Iren gehöre, für die er keine Zeit hat.
Freundlichkeiten umgehend, wendet er sich direkt an Ioli. »Welche Position nehmen Sie in diesem Fall ein, Dominic?«
»Wir hatten nicht genügend Zeit, um die Anklagepunkte richtig einzuschätzen«, antwortet er. »Aber ich glaube, das ist nicht wichtig. Welche Entscheidung das Gericht auch trifft, sie wird über jeden Tadel erhaben sein. Wenn die Verteidigung nicht wechselt, lassen wir die Tür für eine Berufung weit offen. Einen neuen Verteidiger zu benennen, würde eine Verzögerung bedeuten, aber es ist besser, jetzt
diese Entscheidung zu treffen, als zu einem späteren Zeitpunkt noch mal ganz von vorne anzufangen.«
»Hört sich vernünftig an«, meint Rothstein und wendet sich an mich. »Dunleavy?«
Ich bin darauf vorbereitet, mich energisch zu verteidigen, und habe nicht die Absicht, mich von irgendjemandem in die Knie zwingen zu lassen. »Euer Ehren, die Noten und Bewertungen sind nun einmal so, wie sie sind«, beginne ich lässig. »Aber ich bin sicher, dass Sie während Ihrer Laufbahn zumindest ein paar hervorragenden Anwälten begegnet sind, die keine brillanten Studenten waren. Soweit ich weiß, ist der Bezirksstaatsanwalt einer von ihnen.«
Das angedeutete Lächeln gibt mir Mut.
»Die einzige Behauptung, die zählt, ist also die, dass jemand mein Examen für mich geschrieben hätte. Das entspricht aber nicht der Wahrheit. Hier sind Kopien der Röntgenaufnahmen meines linken Handgelenks, die am Abend vor dem Examen gemacht wurden. Und hier ein Bericht von meinem Besuch in der Notaufnahme im Saint Vincent’s vom 5. April 1997. Am Abend vor meinem Examen bin ich im Cage in Village bei einem Pickup-Spiel schwer gestürzt. Ich hätte das Examen aus medizinischen Gründen verschieben können, aber ich hatte mich monatelang darauf vorbereitet. Und ehrlich gesagt wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, ob ich wirklich Anwalt werden wollte. Also beschloss ich, das Examen mit der rechten Hand zu schreiben und die Noten für mich entscheiden zu lassen.«
»Sie wollen damit also sagen, Sie hätten die Gerichtsschranke mit der falschen Hand überwunden?«
»Ich habe keine falsche Hand. Ich bin beidhändig.«
»Die Multiple-Choice-Aufgaben nehme ich Ihnen ab, aber den Aufsatz?«
Ich blicke ihm direkt in die Augen. »Es ist die Wahrheit. Glauben Sie’s oder nicht.«
»Wir werden sehen«, sagt Rothstein, schiebt mir einen Block über den Tisch und nimmt, ohne hinzuschauen, ein Buch vom Regal hinter sich.
»Sie haben Glück, Dunleavy - Ulysses von James Joyce. Ich diktiere den ersten Satz, und Sie schreiben ihn mit der rechten Hand so schnell auf, wie Sie können. Fertig?«
»Das letzte Mal ist sieben Jahre her.«
»Wovor haben Sie Angst? Sie haben doch keine falsche Hand. Fertig?«
»Klar.«
Rothstein merkt man beim Lesen seinen Spaß an. »›Stattlich und feist erschien Buck Mulligan am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen.‹»
Ich kritzle den Satz mit rasender Geschwindigkeit aufs Papier und schiebe den Block zurück.
»Jetzt weiß ich, warum Sie mit der rechten Hand so gut zurechtkommen«, sagt Rothstein. Das Lächeln in seinen Augen rutscht bis zu seinen dünnen Lippen hinab. »Ihre Handschrift ist besser als meine. Übrigens habe ich heute Nachmittag ein paar Anrufe getätigt, und es hat sich herausgestellt, dass dieses Gerücht aus der Kanzlei von Ronnie Montgomery stammt. Wir sehen uns morgen früh im Gerichtssaal.«
»Aber, Euer Ehren …«, meldet sich Ioli zu Wort.
»Wir beide sehen uns auch morgen früh, Dominic.«
87
Kate
Erschöpft vom Test in Rothsteins Büro, fährt Tom langsam meinen Wagen durch Riverhead Richtung Sunrise Highway. Keiner von uns sagt ein Wort.
Der Vollmond beleuchtet die Straße, aber auch die Vordersitze, wo Toms rechte Hand auf der Armlehne zwischen uns liegt.
Ehrlich gesagt haben mir Toms starke Hände mit ihren dicken Venen, die von den zerschundenen Knöcheln bis zu den Handgelenken laufen, schon immer gefallen. In zwei Jahrzehnten Basketball hat er sich jeden Finger schon so oft verrenkt, dass kein einziger mehr gerade ist. Sie haben sich zu einer Art Reliefkarte seines Lebens verformt,
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