Suendenpakt
Fahrgäste aus Manhattan an den malerischen Haltestellen entlang der Route 27 ausspucken. Es ist eine rollende Armada aus verrosteten Schulbussen, längst ausrangierten Greyhounds und verbeulten Vans. Hunderte dieser Busse halten hier, und sie kommen ganz aus dem Norden, aus New Hampshire, und ganz aus dem Süden, aus Florida.
Wie eine mittelalterliche Armee belagern sie East Hampton, lassen sich auf dem Feld gegenüber der Getty Station nieder. Als dieses voll ist, schwärmen sie auf die eleganten Straßen südlich des Highway aus, die zum Meer führen.
Am Mittag marschiert eine fast zwei Kilometer lange, zwölf Mann breite Schlange in die Stadt, und die beiden Straßenblöcke von East Hampton, die wie auf dem Reißbrett geplant wirken und in denen man eine Woche lang spazieren gehen kann, ohne einem Afroamerikaner zu begegnen, werden überflutet mit dreißigtausend meist schwarzen Demonstranten - Männer, Frauen und Kinder.
Sie schwenken selbst gemachte Schilder mit »Lasst Dante Halleyville frei!« und »Hört auf, unsere Jugendlichen umzubringen!
« Sie sind all das, was die Leute aus East Hampton nicht sind - laut, ungehemmt und wütend.
Die Menge marschiert an den hastig vernagelten Fenstern von Cashmere Hampton, Coach und Ralph Lauren vorbei. Sie biegt nach links auf die Newtown Lane und defiliert am Calypso, Scoop und Om Yoga entlang bis zur Mittelschule.
Dort werden sie von hektischen Polizisten und der gerade eingetroffenen Nationalgarde in den Park gedrängt.
Im Innenfeld des Softball-Platzes am anderen Ende des acht Hektar großen Parks wurde eine Bühne errichtet, auf der Reverend Marvin Shields in einem blendend weißen, dreiteiligen Anzug zum Mikrofon greift.
»Keine Gerechtigkeit!«, bellt Shields.
»Keinen Frieden!«, antwortet die Menge einstimmig.
»Ich habe nichts gehört«, ruft der Reverend mit einer Hand am Ohr.
»Keinen Frieden!«
»Was war das?«
»Keinen Frieden!«
»Heute Vormittag haben wir einen ganz besonderen Mann zu Gast hier«, fährt Shields fort. »Einen Mann, der uns immer wieder ein Freund gewesen ist, einen Mann, dessen Büro in Harlem ganz in der Nähe von meinem liegt. Es ist unser ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten, Mr. Bill Clinton!«
Unter ohrenbetäubendem Grölen schlendert Expräsident Clinton auf die Bühne. Eine ganze Minute lang winkt und lächelt er so ungezwungen, als stünde er hier in seinem eigenen Garten. Dann legt er einen Arm um Reverend Shields und ergreift das Mikrofon.
»Willkommen in den Hamptons. Hübsch hier draußen, oder?«
82
Tom
Bill Clinton redet immer noch, als Kate meine Hand nimmt und mich fortzieht. East Hampton könnte abbrennen, das wäre ihr im Moment egal. Wir müssen uns auf die Verteidigung in einem Mordfall vorbereiten, und wir sind noch weit im Rückstand.
Die Straße nach Montauk ist verwaist, als hätte man die östliche Spitze von Long Island evakuiert. Die Fahrt mit Kate weckt Erinnerungen an damals, als wir noch zusammen waren. Ständig hielten wir uns an den Händen, und auch jetzt habe ich Lust, Kates Hand zu halten. Aber natürlich tue ich es nicht, was die Sache nur noch schlimmer macht. Als wir in Montauk eintreffen, steht kein einziges Fahrzeug auf dem Parkplatz vor unserem Büro.
Unterstützt von der ungewohnten Stille, bereitet Kate einen Ordner zu jedem Zeugen vor, den wir vor Gericht aufrufen könnten, während ich mich an den ersten Entwurf unseres Eröffnungsplädoyers wage. Zwischendurch umarmt sie mich kurz. Das sollte ich aber nicht überbewerten, auch wenn ich nicht will, dass sie damit aufhört.
Die historische Bedeutung des Tages ist so anregend, dass die Sätze und Paragraphen nur so aus mir herausfließen. Aber Kate ist alles andere als überwältigt. Als sie mir den Entwurf zurückgibt, hat sie die Hälfte durchgestrichen, den Rest mit Anmerkungen gespickt. »Das wird ein großartiges Plädoyer«, ermutigt sie mich.
Dankbar für die Standards, die höher sind als meine, produziere ich einen Entwurf nach dem anderen, bis unten ein
Wagen auf dem leeren Parkplatz hält. Ich habe mein Zeitgefühl verloren, und plötzlich wird mir bewusst, dass der Nachmittag längst vorbei und es draußen vor unserem einzigen Fenster schwarz geworden ist. Tatsächlich ist es schon fast zehn Uhr abends.
Autotüren werden geöffnet und zugeschlagen, schwere Schritte stampfen die Treppe nach oben. Es scheinen drei oder vier Leute zu sein, und dem Knarren nach zu urteilen, sind sie alle groß und
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