Sündige Gier
Abgesehen davon behielt Dodge für sich, wo er sich herumtrieb oder was er zwischen zwei Aufträgen anstellte. Aber er war stets zur Stelle, wenn Derek seine Dienste benötigte.
Gestern Abend hatte Derek, gleich nachdem er Julie Rutledge in den Nachrichten gesehen hatte, die Akten durchgeblättert, die Marlene ihm mitgegeben hatte, und darin nach Hinweisen auf Paul Wheelers »Begleiterin« gesucht. Sie wurde mehrfach erwähnt, aber er fand kaum persönliche Informationen über sie, und eine Computerrecherche hatte abgesehen von zahllosen Links zu ihrer Galerie wenig erbracht. Darum hatte er Dodge angerufen und ihn gebeten, sich kundig zu machen.
»Und bis wann?«
»Gestern.«
»Kein Problem.«
Wie gewöhnlich hatte Dodge ganze Arbeit geleistet. Er hatte Derek schon erwartet, als der nach seinem hitzigen Treffen im Chez Jean vor seiner Kanzlei eingetroffen war. Jetzt fragte er: »Und wie kam es zu dieser glücklichen Fügung? Wie sind Julie Rutledge und Paul Wheeler zusammengekommen?«
Dodge klopfte auf seine Hemdtasche, als taste er nach einer übrig gebliebenen Zigarette. »Das war auf die Schnelle nicht festzustellen. Er war ein reicher Amerikaner mit guten Beziehungen nach Paris. Sie arbeitete in einer Nobelgalerie, um sich und ihren armseligen Ehemann durchzubringen, darum nehme ich an…«
»Moment mal. >Armseliger Ehemann«
»Kein nennenswertes Einkommen. Zwei Verhaftungen wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses. Oder wie die das in Frankreich nennen.«
»Okay.«
»Wo war ich?«
»Also nimmst du an…«
»Also nehme ich an, dass Wheeler sie über gemeinsame Bekannte in der Kunstszene kennengelernt hat. Aber das ist reine Spekulation, wohlgemerkt.« Derek nickte.
»Wie auch immer, wenig später hat sie ihren Versager von Ehemann in den Wind geschossen, und sie und Wheeler wurden ein Paar. Er nahm sie mit zurück in die Staaten und brachte sie hier in Atlanta ins Geschäft.«
»Mann. Ich frage mich, wie sie ihm diesen Gefallen erwidert hat?«
Dodges Lachen klang, als würden Kieselsteine in einer Blechdose scheppern. »Du glaubst, er war ihr Sugardaddy?«
»Du etwa nicht?«
»Na schön, vielleicht am Anfang. Aber Julie ist ein schlaues Mädel. Das Geld für ihre Galerie bekam sie von Wheeler nicht geschenkt, sondern als Kredit. Genauer gesagt gab die Bank den Kredit, Wheeler bürgte nur dafür. Im ersten Jahr machte die Galerie keinen Profit, aber seither ist sie in den schwarzen Zahlen und verdient gutes Geld. Der Kredit wurde abgelöst. Das Haus in Garden Hills hat sie sich selbst gekauft, sie zahlt ihre Rechnungen und Kreditkartenrechnungen selbst. Finanziell ist sie nicht von Wheeler abhängig. So sieht es jedenfalls auf dem Papier aus.«
Derek rollte seinen Schreibtischstuhl zurück und stand auf. Er stieg über Maggie hinweg, die sich schnarchend auf dem Boden ausgestreckt hatte, und trat an das Panoramafenster. Minutenlang schaute er gedankenversunken hinaus und ließ sich durch den Kopf gehen, was er über Julie Rutledges einst und jetzt wusste.
Scheiße.
Einerseits war Dodges Bericht enttäuschend. Ihre Vergangenheit war keineswegs so anrüchig, wie er erwartet hatte. Dodge hatte ihm kein Aha-Erlebnis beschert - etwa eine lange Liste ehemaliger »Wohltäter«, mit denen Derek sie konfrontieren konnte. Andererseits war er froh, dass nichts ans Licht gekommen war, was wirklich kriminell oder belastend gewesen wäre.
Sie war genau das, was sie auf den ersten Blick zu sein schien: eine intelligente, kulturinteressierte und gebildete Frau, die sich ihren Erfolg selbst erarbeitet und dabei das Glück gehabt hatte, sich in einen sehr wohlhabenden Mann zu verlieben, der ihre Liebe erwiderte.
Sie hatte neben der Liebe ihres Lebens gekniet, als ihm der Hinterkopf weggeblasen wurde. Sie wollte, dass der Mörder gefasst und die Höchststrafe verhängt wurde. Um das zu erreichen, hatte sie den einen Mann ausgeschaltet, der das ihrer Ansicht nach verhindern konnte. Sie hatte auf den ältesten Trick der Menschheit zurückgegriffen, der, wie sie selbst betont hatte, gleichzeitig der direkteste und effektivste war.
Vielleicht war es wirklich so einfach, und er versuchte nur alles zu verkomplizieren.
Er war so in seine Gedanken versunken, dass er Dodge vollkommen vergaß, bis der Privatdetektiv fragte: »Willst du mir erzählen, warum du dich so für sie interessierst?«
»Ich wurde von Doug Wheeler verpflichtet, die Familie während der Ermittlungen zu
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