Sündige Gier
zu diesem Erlebnis zurück. Wie in einer Endlosschlaufe spielte sich die Episode wieder und wieder vor ihrem inneren Auge ab. Und zu den merkwürdigsten Gelegenheiten, auch wenn der Zeitpunkt noch so ungünstig war, tauchte sie ganz darin ein und durchlebte von Neuem jenen scharfen, süßen und von Sinnlichkeit getränkten Moment.
Schlimmer noch, jedes Mal, wenn sie in seiner Nähe war, meldeten sich diese Erinnerungen in Dolby Surround und Technicolor. Ihr Körper reagierte beschämend intensiv auf seine Nähe. Selbst wenn sie wütend auf ihn war, spürte sie gleichzeitig das süße Ziehen des Verlangens. Das Timing hätte nicht schlechter sein können. Alle Umstände sprachen dagegen. Und doch…
Ihr Telefon läutete.
Sie tastete in der Dunkelheit danach und klappte es auf. »Hallo?«
»Julie.«
»Derek?«
»Ich glaube dir. Alles. Von Anfang bis Ende.«
Sie warf die Decke zurück. Etwas Schlimmes war vorgefallen. Das hörte sie ihm an. »Was ist denn los? Was ist passiert?«
»Dieser Hurensohn hat Maggie umgebracht.«
16
Billy Duke betrachtete das Gesicht in dem gesprungenen, fleckigen Spiegel und rätselte, wo zur Hölle der vorwitzige, gutaussehende, schick gekleidete und wortgewandte Typ geblieben war, der er bis vor wenigen Wochen gewesen war.
Seine Haare waren nach dem Stoppelschnitt wieder halbwegs nachgewachsen. Trotzdem vermisste er die wehende Mähne, die zwar altmodisch, aber eines seiner Markenzeichen gewesen war. Und er vermisste die stylischen Sachen, die er durch abgetragene T-Shirts und Jeans ersetzt hatte.
»Du musst dein Outfit ändern«, hatte Creighton ihn ermahnt. »Du darfst nicht auffallen. Du musst für alle und jeden unsichtbar werden.«
Also hatte er sein Outfit verändert, aber gleichzeitig hatte sich der Mensch dahinter verändert, bis er ihm völlig fremd geworden war. Wo war sein selbstsicherer Gang geblieben? Der Typ im Spiegel wirkte nervös und gehetzt, verwahrlost und verängstigt. Er erkannte sich kaum wieder.
Billy Duke rätselte, was ihm eigentlich widerfahren war. Creighton Wheeler war ihm widerfahren. Er beugte sich über das schmutzige Waschbecken und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Das Wasser schmeckte leicht muffig. Das Handtuch war so dünn, dass man beinahe hindurchsehen konnte. Die ganze Anlage war eine Müllhalde, aber die Wohnsituation war noch sein kleinstes Problem. Creighton hatte ihm heute Morgen einen unerwarteten Besuch im Motel abgestattet. Seither hatte Billy jede Minute damit zugebracht, darüber nachzudenken, was sie geredet hatten und was eigentlich passiert war.
Das Erste, woran er sich erinnerte, war, dass er mit einem Mordsdurst aufgewacht war. Er erinnerte sich außerdem, dass er versucht hatte, genug Spucke zu sammeln, damit er was zum Schlucken hatte und nicht gleich aufstehen musste, aber sein Mund war wie ausgedörrt gewesen. Widerwillig hatte er die Augen geöffnet.
Ihm war vor Schreck fast das Herz stehengeblieben. »Scheiße!«
Sofort krallte sich eine Hand um seine Luftröhre und erstickte den Aufschrei. >Wie gern willst du am Leben bleiben?<
Die Antwort darauf blieb Billy schuldig. Außer ein paar Würgegeräuschen hätte er sowieso keinen Laut herausgebracht. Er zappelte mit den Beinen, bäumte sich auf und versuchte, die Hand um seine Kehle abzuschütteln, aber Creighton Wheeler stützte sich mit seinen ganzen achtzig Kilo darauf, sodass sie sich keinen Fingerbreit bewegen ließ. Er drückte mit aller Kraft zu, bis Billy befürchtete, dass ihm gleich der Adamsapfel wie ein Pingpongball aus dem Hals hüpfen würde.
»>Willst du so gern weiterleben, dass du mich aufhältst, Schlampe? Oder verlässt du dich darauf, dass ich dich aus Großmut und reiner Menschenliebe nicht töte?<«
Billys Augäpfel traten langsam aus den Höhlen. Sein Gesicht verzerrte sich, das Blut staute sich in seinem Schädel. In seinem Kopf explodierten gelbe Raketen vor einem tiefschwarzen Hintergrund. Seine Glieder begannen zu kribbeln. Sein Gehirn schaltete sich allmählich ab. Die Synapsen brachen die Verbindungen ab.
Trotzdem war ein kleiner Teil seines Gehirns noch in der Lage, klar zu denken, und dieser Teil registrierte erstaunt, wie bemerkenswert ruhig Creighton blieb, obwohl er sich so zornig gab. Hätte Creighton gebrüllt, hätte er längst nicht so furchterregend gewirkt. Vor allem sein bösartiges Flüstern und die kalte Selbstbeherrschung überzeugten Billy, dass ihn dieser Mann tatsächlich umbringen könnte, dass dies
Weitere Kostenlose Bücher