Sündige Liebe
es gewusst hast. Jetzt, nachdem der Norden gewonnen hat, spielt es ohnehin keine Rolle mehr, wer davon weiß.« Er wechselte das Thema. »Du wirst in etwa zehn Tagen abreisen müssen, Angela, und das heißt, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Wir werden heute in die Stadt fahren, um beim Schneider Maß nehmen zu lassen. Ich habe mich erkundigt, und es heißt, dass siebzehn Kleider für ein Schuljahr angemessen sind. Uns bleibt nicht mehr genügend Zeit, um so viele Kleider hier anfertigen zu lassen, und im Norden wird die Auswahl an wärmeren Stoffen ohnehin größer sein. Miss Barkley, die Frau, die ich bereits vorhin erwähnt habe, wird dir daher behilflich sein deine Garderobe nach deiner Ankunft zu vervollständigen.«
Angela war schockiert. »Aber ich brauche doch keine ... «
Er nahm ihren Einwand vorweg. »Ich habe dich gebeten, dich als Tochter ansehen zu dürfen, Angela«, fiel er ihr liebevoll ins Wort. »Dasselbe täte ich auch für Zacharys Frau, also lass es mich bitte auch für dich tun. Falls es dir unangenehm sein sollte, dann sieh es einfach so, dass ich einer armen Näherin helfe, die auf diesen Auftrag angewiesen ist.«
So kam es, dass sie jetzt auf dem Weg in die Stadt waren, um Schnittmuster und Kleiderstoffe auszusuchen, die einer jungen Dame von siebzehn Jahren angemessen waren. Anschließend kauften sie alle Accessoires, die sie nach Jacobs Ansicht brauchte. Sie suchten genau die Geschäfte auf, in deren Auslagen sie einst so sehnsüchtig gestarrt hatte. Koffer, Hüte und Schuhe wurden gekauft, Toilettenartikel und warme Jacken für die kühleren Temperaturen, denen sie bald ausgesetzt sein würde. Die Geldbeträge, die den Besitzer wechselten, machten Angela ganz benommen. All das geschah wirklich, und es geschah ihr, Angela Sherrington!
12
Nach drei Wintern in South Hadley, Massachusetts, hätte Angela sich eigentlich an die Kälte gewöhnt haben müssen, doch sie hatte es nicht. Sie glaubte auch nicht, sich je daran gewöhnen zu können. Den anderen Mädchen dagegen schien es nichts auszumachen, denn die meisten kamen aus den Nordstaaten.
Abgesehen von Naomi Barkley, die sie weitaus mehr als Tochter, denn als Schülerin behandelte, hatte Angela keine Freundinnen in der Schule. Angela hatte die Hoffnung, eine Freundin zu finden, längst aufgegeben. Es lag nicht an ihr. Sie hatte sich sehr bemüht, nett zu sein, aber die anderen Schülerinnen fass ten eine spontane Abneigung gegen sie. Es lag an ihrem Südstaatenakzent, und die meisten Mädchen hatten im Krieg Brüder oder Vater verloren. Sie gaben dem Süden die Schuld an diesem Krieg, und somit auch ihr.
Angela wünschte sich zwar, es wäre anders gewesen, doch im ersten Jahr gelang es ihr, mit der Feindseligkeit zu leben, die ihr allseits entgegenschlug, denn sie hatte Naomi, und Angela vertiefte sich ganz ins Lernen. Dennoch verlor sie als Zielscheibe des Spotts manchmal die Fassung. Sie schockierte die anderen Mädchen mit ihrer Kenntnis von Schimpfwörtern. Angela warf ihnen Flüche an den Kopf, bei denen die Mädchen rot anliefen. Es machte ihr Spaß, die anderen zu schockieren. Das war ihr einziges Ventil.
Erfreulicherweise erfuhr Angela durch Naomi mehr über ihre Mutter. Sie erfuhr sogar die Dinge, zu denen sich Jacob Maitland nicht hatte äußern wollen, den Grund ihrer Mutter, Springfield, Massachusetts, zu verlassen.
Charissa war dreizehn gewesen, als die Welt ihrer Eltern in der Depression von 1837 zerbröckelte. Es gelang ihren Eltern, sie weiterhin zur Schule zu schicken, und was die Armut und die ständig steigenden Schulden betraf, ließ man sie im Dunkeln . Sie entdeckte die Wahrheit erst nach dem Tod ihrer Eltern im Jahr 1845. Da Charissas Familie und die Maitlands gute Freunde gewesen waren, nahm sich Jacobs Mutter der Tochter ihrer verstorbenen Freunde an. Als Jacobs Mutter 1847 starb, wurde Charissa Gouvernante bei einer Bankiersfamilie.
Naomi sah sie damals gelegentlich, und Charissa hatte ihr gestanden, in einen verheirateten Mann verliebt zu sein, dem es unmöglich war, seine Frau und seine Kinder zu verlassen. Sie wollte nicht sagen, wer dieser Mann war, doch Naomi nahm an, dass es sich um den Bankier handelte. Aufgrund der Hoffnungslosigkeit ihrer Romanze verließ Charissa Springfield und ging nach Alabama.
Angela fragte sich, warum Jacob ihr die Wahrheit nicht hatte sagen wollen. Sie war wirklich alt genug, um das zu verstehen.
Auf einem der häufigen Ausflüge der Mädchen nach Springfield
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