Sündige Rache
mit mir. Hast du – ach, egal.«
»Habe ich was?« Sie hielt den Bildschirm zu und führte, während Eve ungeduldig mit den Augen rollte, ein geflüstertes Gespräch mit jemandem im Raum. »Entschuldige. Leonardo probiert gerade ein neues Bühnenkostüm für mich aus. He, warum kommst du nicht kurz vorbei?«
»Nein, du hast zu tun.«
»Also bitte, Dallas, du hast uns hier noch nie besucht. Wenn du gerade am Times Square bist, kannst du in ein paar Minuten hier sein. Ich wollte mir gerade einen riesengroßen, eisgekühlten Screamer mixen. Also mache ich halt gleich zwei.«
»Nein – ich -« Sie atmete schwer aus, als die Freundin das Gespräch schlichtweg abbrach, und überlegte, ob sie nicht unter irgendeinem Vorwand doch besser sofort nach Hause fuhr.
Dann aber dachte sie daran, wie distanziert und kühl Roarke am Vormittag gewesen war, und sagte sich: »Verdammt. Warum eigentlich nicht? Ein paar Minuten schaden nicht.«
10
M avis Freestone und ihr Partner Leonardo lebten zusammen in Eves ehemaligem Apartment.
Das jedoch ein knappes Jahr nach ihrem Auszug nicht mehr wiederzuerkennen war.
Zu Eves Zeiten war die Einzimmer-Wohnung spartanisch möbliert gewesen, nirgends hatte ein Bild an der Wand gehangen, und sie hatte ihren AutoChef höchstens alle paar Monate gefüllt. Sie hatte ihren damaligen Lebensstil nicht als fade, sondern als bescheiden tituliert.
Wobei im Vergleich zu Mavis wahrscheinlich selbst ein Ritt auf den äußeren Saturnringen als fade anzusehen war.
Sobald Mavis ihr öffnete, wurde Eve von den grellen Farben, die ihr entgegenströmten, regelrecht geblendet. Jedes Möbelstück und jeder Stoff hatten eine andere Schattierung, sie alle jedoch waren derart schreiend, dass man bei ihrem Anblick unweigerlich erst mal die Augen zusammenkniff.
Doch das war typisch Mavis.
Im Wohnzimmer hatte sie ellenlange Stoffbahnen drapiert. Einige der Stücke waren wahrscheinlich Kunst, andere Entwürfe Leonardos in verschiedenen Stadien der Vollendung, nahm Eve an. Das durchgesessene Sofa, das von ihr bei ihrem Umzug zurückgelassen worden war, hatte inzwischen einen leuchtend pinkfarbenen, seidig schimmernden Bezug. Und als wäre dieser Farbklecks nicht bereits genug, waren unzählige Kissen und dicke Überwürfe ebenfalls in schrillen Tönen auf der Couch und auf der Stoffbahn, die statt eines Teppichs auf dem Boden lag, verteilt.
Perlen, Bänder und Pailletten rannen wie Regen von den Wänden und drehten sich mit leisem Klirren unter der niedrigen Decke, deren silberhellen Grundton eine Heerschar strahlend roter Sternchen unterbrach.
Selbst die Tische bestanden offenbar aus Stoff und luden mit ihren weichen Formen, falls es mal nicht genügend Stühle geben sollte, ebenfalls zum Sitzen ein. Anscheinend gab es in der ganzen Wohnung keine harte Oberfläche und keinen rechten Winkel.
Doch auch wenn sie die Befürchtung hegte, dass man bei längerem Verweilen von all den grellen Farben Halluzinationen bekäme, hätte etwas anderes zu ihrer ältesten und besten Freundin ganz einfach nicht gepasst.
Man hatte das Gefühl, einen sturmumtosten Sonnenaufgang zu erleben. Auf der Venus.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich darüber freue, dass du endlich mal vorbeikommst.« Mavis zerrte Eve mitten in das Farbenchaos, drehte eine elegante Pirouette und zwitscherte begeistert: »Na? Wie gefällt es dir?«
»Was genau?«
»Mein neues Outfit, was sonst?«
Zierlich und gertenschlank, machte Mavis eine zweite Drehung in ihrem knappen … Kleid. So konnte man das allerdings nicht nennen, überlegte Eve. Es war eher ein Kostüm, das aus kaum mehr als diagonalen Streifen in sämtlichen Schattierungen von tiefem Purpurrot bis Neonpink bestand. Das Oberteil war sehr tief ausgeschnitten, reichte knapp bis über ihre Nippel und ließ ihre mit Stiefmütterchen-Tätowierungen verzierten Schultern frei.
Die Ärmel – es mussten Ärmel sein, denn soweit Eve wusste, wurden von Handschuhen, wie schon der Name sagte, auch die Hände der Trägerin bedeckt – schmiegten sich wie eine zweite Haut an ihre schlanken Arme, und ihre mit nadelspitzen Absätzen bewehrten, ebenfalls grell gestreiften Stiefel reichten bis hinauf zu ihrem straffen Po.
»Es ist …«, sie hatte keine Ahnung, welches die gewünschte Antwort war, »… erstaunlich.«
»Ja, nicht wahr? SDT. Superdupertoll. Trina wird mir noch die Haare passend dazu kreieren. Leonardo ist einfach ein Genie. Leonardo, Eve ist da. Er mixt gerade die
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